Judith Altmann auf Spurensuche in Gelsenkirchen

Auschwitz, Gelsenkirchen, Essen, Bergen-Belsen – eine Überlebensgeschichte

Auf der „Rampe“ in Auschwitz schickte der „Todesengel von Auschwitz“ genannte SS-„Arzt“ Josef Mengele ihre Familie ins Gas. „Du wirst leben, Judith“ – das waren die letzten Worte ihres Vaters. Judith Altmann wurde von Mengele nach „links“ geschickt, das bedeutete weiterleben. „Die SS brauchte uns als Arbeiterinnen, aber das alles wusste ich damals noch nicht“ sagt Judith Altmann „. Ihre Eltern, ihre Schwester Berta und über 20 weitere Familienmitglieder schickte Mengele auf die rechte Seite. Sie überlebten Auschwitz nicht, starben in der Gaskammer einen schrecklichen Tod.

Am Sonntag besuchte Judith Altmann Gelsenkirchen, wo sie 1944 einem Außenlager des KZ Buchenwald bei der Gelsenberg Bezin AG Zwangsarbeit für die deutsche Kriegsproduktion geleistet hat. Gemeinsam mit Andreas Jordan von Gelsenzentrum, dem Gemeinnützigen Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte begab sich die 89jährige am Sonntag auf Spurensuche in Gelsenkirchen.

Nach 70 Jahren kehrte Judith Altmann an den Ort zurück, an dem das Lager eingerichtet worden war – nordöstlich des damaligen Hydrierwerkes (Heute BP Gelsenkirchen), zwischen Lanferbach und Linnenbrinksweg. Beschaulich liegen die Felder da, Vögel zwitschern. In der Ferne liegen die Werksanlagen. Nichts erinnert mehr an das Gelsenberglager, in dem 2000 jüdische Mädchen und Frauen unter unmenschlichen Bedingungen in Zelten hinter Stacheldraht eingepfercht waren. Bei einem Bombenangriff am 11. September 1944 starben mindestens 150 der weiblichen Häftlinge, mehr als hundert erlitten schwerste Verletzungen. Ihnen war als Jüdinnen der Zutritt zu Schutzräumen und Bunkern verboten. Einige Tage nach dem Bombenangriff wurde das Lager aufgelöst. Die im Lager verbliebenen Zwangsarbeiterinnen wurden in das Außenlager Sömmerda verlegt. Der ehemalige Standort des Gelsenkirchener Außenlagers ist heute überbaut und nicht öffentlich zugänglich.

Auf dem Horster Südfriedhof erinnert ein Mahnmal an die Toten des Bombenangriffs vom 11. September. Judith Altmann entdeckt den Namen einer Schulfreundin auf der Namensliste der Opfer, Tränen fließen über ihr Gesicht. “ Jettchen war so jung, warum nur musste sie sterben?“ Mit zitternden Händen entzündet die alte Dame eine Kerze, „In Gedenken an die unschuldigen Menschen, von denen ich so viele gekannt habe.“ Hinter dem Mahnmal steht versteckt in den Büschen ein alter Luftschutzbunker. Nachdenklich betrachtet Frau Altmann das Bauwerk. „Wir mussten auch Bunker errichten, vielleicht habe ich an diesem sogar mitgebaut.“

Der Platz vor dem Horster St. Joseph-Hospital wurde im Herbst 1996 nach Dr. Rudolf Bertram benannt. Im Zuge der Neugestaltung des Eingangsportals wurde auch die Gedenkstele versetzt. „Wo immer im Himmel sie auch sind, lieber Dr. Bertram, ich danke ihnen aus tiefsten Herzen für dass, was sie für die Rettung meine lieben jüdischen Schwestern getan haben“, sagt Frau Altmann mit leiser Stimme an der Gedenktafel, die vor dem Horster St. Joseph-Hospital an das Wirken des Chefarztes erinnert.

Judith Altmann und Agnes Vertes überlebten den Holocaust. Am Sonntag waren sie mit Andreas Jordan vom Gelsenzentrum e.V. auf Spurensuche auch in Gelsenkirchen-Horst unterwegs. Die Gedenktafel erinnert vor dem Horster St. Joseph-Hospital an das mutige Handeln von Dr. Bertram.

Judith Altmann und Agnes Vertes überlebten den Holocaust. Am Sonntag waren sie mit Andreas Jordan vom Gelsenzentrum e.V. auf Spurensuche auch in Gelsenkirchen-Horst unterwegs. Die Gedenktafel erinnert vor dem Horster St. Joseph-Hospital an das mutige Handeln von Dr. Bertram.

Dr. Bertram hatte nach dem Bombenangriff vom 11. September 1944 viele der schwerstverletzen Frauen und Mädchen behandelt und mit Hilfe anderer Menschen 17 der Zangsarbeiterinnen aus dem Gelsenberglager bis Kriegsende vor dem Zugriff der Gestapo unter Einsatz seines eigenen Lebens gerettet. Darunter waren auch Charlotte Perl, die spätere Frau von Werner Goldschmidt und Cornelia Basch, die Kurt Neuwald geheiratet hat. Für sein mutiges und selbstloses Handeln wurde Dr. Bertram vom Staat Israel als „Gerechter der Völker“ geehrt.

Im Foyer des Horster St. Joseph-Hospital thematisiert die Arbeit eines Gelsenkirchener Künstlers die Geschichte des Außenlagers des KZ Buchenwald in Gelsenkirchen

Im Foyer des Horster St. Joseph-Hospital thematisiert die Arbeit eines Gelsenkirchener Künstlers die Geschichte des Außenlagers des KZ Buchenwald in Gelsenkirchen

In der Bleckkirche beschreibt Judith Altmann schließlich von ihrer unbeschwerten und glücklichen Kindheit mit Eltern und Geschwistern. Sie berichtet von Vertreibung, Demütigung und Deportation aus ihrer Heimat in der damaligen Karpato-Ukraine. Und sie erzählt von Auschwitz: „Kurz nach unserer Ankunft war da ein Alarm, niemand durfte mehr die Baracke verlassen. Sie nannten es „Blocksperre“. Nach einer Weile begann es fürchterlich nach verbrannten Haaren zu stinken. Ich fragte jemanden, was das zu bedeuten habe. Sie verbrennen grade deine Eltern, wurde mir gesagt. Ich wusste damals doch noch nicht, was Auschwitz wirklich bedeutet.“ Eindringlich beschreibt sie den Hunger den sie litt, ihre allgegenwärtige Todesangst, die Gerüche. Sie berichtet von Zwangsarbeit für Krupp in Essen, von Todesmärschen und davon, wie sie im KZ Bergen-Belsen mit ihrer Nichte von früh bis spät Leichen in Massengräber tragen musste. „Die Leichen waren so schwer, es war fürchterlich. Zur Belohnung bekamen wir am Abend dann einen Teller dünner Suppe. Wir wollten ja leben“. Von britischen Soldaten wird sie in Bergen-Belsen am 15. April 1945 befreit. „Am Tag der Befreiung bin ich wiedergeboren worden“ sagt Judith Altmann. „Mein neues Leben begann in Schweden, später ging ich dann in die USA. Ich lernte meinen Mann kennen, heiratete, habe zwei Söhne und zwei Enkelinnen.“

Ob sie denn heute Deutsche hasse, wird Judith Altmann nach ihrem Vortrag gefragt. „Nein,“ sagt Judith Altmann, „ich empfinde keinen Hass. Denn Hass würde mich zerstören. Ich muss über all das, was ich erlebt habe, weiter berichten. Damit es das nie vergessen wird. Dafür brauche ich meine Kraft, nicht um zu hassen.“ In der Gelsenkirchener Bleckkirche sind viele Plätze leer geblieben. „Wer mir zuhören will, der kommt“ sagt Judith Altmann.

Video: Judith Altmann in Gelsenkirchen

Während der Zeit des Nationalsozialismus musste Judith Altmann im Lager Gelsenberg in Gelsenkirchen unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. 70 Jahre später kehrt sie an diesen Ort zurück und erinnert sich an Unterdrückung, Verfolgung, Ausbeutung und Vernichtung von Menschen in den Konzentrations- und Arbeitslagern der Nazis.

Dieser Beitrag wurde unter Stadtgeschichte Gelsenkirchen abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar