Antisemitismus: “Wir verstecken uns lieber”

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Wir verstecken uns lieber

Victor und Leon, beide 15, sind Juden, im jüdischen Religionsunterricht lernen sie Grundregeln ihres Glaubens und ihrer Kultur. Ihre richtigen Namen nennen wollen sie nicht, weil sie in der Schule beschimpft werden. Ein Gespräch

Victor und Leon (Namen geändert) gehen auf zwei weiterführende Schulen in Gelsenkirchen. Zum jüdischen Religionsunterricht kommen sie einmal in der Woche in die neue Synagoge. WAZ-Redakteurin Tina Bucek sprach mit ihnen über Glauben, Kultur und Antisemitismus.

Ihr habt gesagt, eure Namen sollen lieber nicht in der Zeitung erscheinen, und auch kein Foto. Warum wollt Ihr das nicht?

Victor: „In der Schule wissen die meisten Leute doch gar nicht, dass ich Jude bin, und das ist auch gut so. Wenn die Leute das wüssten, was meinen Sie, was dann los wäre…“

Was wäre denn dann los?

Victor: Na ich würde angemacht. Werde ich doch so schon oft genug „Du Judensau“ und so was. Und vielleicht würden sie mich auch verkloppen, da bin ich mir nicht so sicher. Da verstecke ich mich lieber und sage nicht, dass ich Jude bin.
Leon: Ich möchte auch meinen richtigen Namen auf keinen Fall veröffentlichen. Ein paar meiner Freunde wissen, dass ich Jude bin. Aber nur die, denen ich vertraue. Den anderen sage ich das nicht, da habe ich Angst, dass was passiert.

Was bedeutet es denn für euch, Juden zu sein. Lebt Ihr nach jüdischen Traditionen?

Leon: Nicht so streng. Meine Eltern sind da auch nicht so streng. Aber ich finde es interessant, mich mit meinen Wurzeln zu beschäftigen. Meine Verwandten leben in Israel, die habe ich letztes Jahr besucht. Das war super, ich möchte da unbedingt wieder hin. Und ich möchte hebräisch lernen.

Victor: Ich war noch nie in Israel, aber ich reise bald hin. Mit einer Jugendgruppe der Jüdischen Synagoge in Dortmund. Nein, das muss ich sagen: Auch unsere Familie lebt nicht streng nach den Regeln des jüdischen Glaubens. Aber ich interessiere mich schon dafür, was meine Traditionen sind.

Sprecht Ihr denn untereinander darüber, was es heißt, Jude zu sein?

Victor: Nein, nicht so richtig. Über so was spricht man nicht offen mit anderen, also vielleicht mit den engsten Freunden, aber nicht mit Fremden. Sie müssen wissen, Juden sind nicht gerade sehr hoch angesehen bei manchen Jugendlichen. Viele kennen die Geschichte auch gar nicht, die sagen dann einfach so etwas daher.

Leon: Nein, offen spreche ich darüber auch nicht. Besser, wenn das nicht so viele Leute wissen. Es ist einfach sicherer.

Quelle: WAZ Gelsenkirchen am 8. November 2008

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