Datensammlung: Die Dabeigewesenen – Gelsenkirchen

Ohne die Dabeigewesenen hätte es keine Opfer gegeben

In Hamburg ging kürzlich eine Datenbank online, die analog und ergänzend zur bereits für die in der Hansestadt vorhanden Stolpersteindatenbank die Dabeigewesenen in Kurzbiografien skizziert. Mit dieser Datenbank möchte die Landeszentrale für politische Bildung den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System gestützt und mitgemacht haben. Die Datenbank enthält eine Sammlung von Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedliche Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, sei es als Karrieristen, Profiteur*innen, Befehlsempfänger*innen, Denunziant*innen, Täter*innen und auch so genannte sogenannte Mitläufer*innen.

„Verbrecherische Systeme funktionieren nur dann, wenn Menschen an ihnen mitwirken, wenn Menschen sich entscheiden dabei zu sein, nahe dran zu sein, davon zu profitieren oder gar mit zu gestalten. Die Durchsetzung von Gewaltherrschaft benötigt Handelnde: Täterinnen und Täter; und sie benötigt Wegsehende und dadurch stumm Zustimmende oder nicht Widersprechende, sagt Dr. Sabine Bamberger-Stemmann (Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg), und weiter sagt sie:“ Dabeige-wesene waren Nachbarn, Arbeitskolleginnen und -kollegen, Bekannte, Freundinnen und Freunde der Kinder. Sie waren keine Fremden, sondern sie gehörten zum vertrauten Umfeld. Zumindest waren sie ebenso wie viele Opfer ihrer Taten Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Oder sie maßten sich an, als Menschen dieser Stadt im sog. „Tausendjährigen Reich“ hierher verschleppte Menschen auszubeuten, zu erniedrigen oder gar zu töten.“

Dr. Rita Bake, die für die Hamburger Datenbank verantortlich zeichnet, geht es mit der neuen Datenbank „nicht um eine Anklage, nicht darum, mit dem Finger auf diese Menschen zu zeigen.“ Sie sei vielmehr eine nötige Voraussetzung, um überhaupt aus der Geschichte lernen zu können. Das wiederum setzt ein umfas-sendes Verständnis für die historischen Zusammenhänge voraus. Bake: „Wir können die Geschichte in ihrer Komplexität nur verstehen, wenn wir nicht nur die Opfer betrachten, sondern auch die Dabeigewesenen. Denn ohne die Dabeigewesenen hätte es keine Opfer gegeben.“

Vor diesem Hintergrund hat die Gelsenkirchener Stolperstein-Initiative um Projektleiter Andreas Jordan jetzt eine Online-Datensammlung unter dem Titel „Die Dabeigewesenen – Gelsenkirchen“ – ähnlich der Hamburger Datenbank – begonnen. „Damit wollen wir den Blick auf Gelsenkirchener*innen lenken, die das NS-System stützten, sich bereicherten und mitmachten. Denn auch in Gelsenkirchen wohnten Nazis oftmals Tür an Tür mit jüdischen Nachbarn oder mit Menschen aus anderen Verfolgtengruppen, die denunziert, ausgeraubt, vertrieben, deportiert und in den Konzentrationslagern und anderen Unrechtsstätten ermordet wurden.“ so Jordan, der seit nunmehr 10 Jahren für die Verlegung von Gunter Demnigs Stolpersteinen in Gelsenkirchen verantwortlich ist. Über 160 dieser kleinen Denkmale haben Jordan und seine Mitstreiter*in- nen gemeinsam mit Gunter Demnig bisher in das Pflaster Gelsenkirchener Gehwege eingesetzt. Im November werden 25 weitere Stolpersteine verlegt.

„Vom Raubgut, zum Beispiel dem Mobiliar der verfolgten Menschen, profitierten nicht nur der Staat, Parteigenossen und bspw. Mitglieder von SA, Polizei und SS, sondern auch „einfache Volksgenossen“ fast jeden Alters. Grundlage für die Gelsenkirchen betreffende Datensammlung sind bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. des Instituts für Stadtgeschichte Gelsenkirchen, ISG), andere Veröffentlichungen zu Gelsenkirchen im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifi-zierungsakten und andere Akten und Dokumente, die in den Archiven zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt greifen wir dabei auch auf die Ergebnisse unsere bereits getätigten Recherchen zurück. Auf diese Weise wird die Online-Datensammlung als „Work in Progress“ kontinuierlich wachsen“ erklärt Andreas Jordan, „Es reicht nicht, mit Stolpersteinen der Opfer zu gedenken. Die Namen der Dabeigewesen dürfen nicht verschwiegen werden.“

Die schnelle Machtentfaltung des NS-Regimes wäre ohne die bedingslose Pflichterfüllung
der Dabeigewesenen nicht möglich gewesen. Weder die Eisenbahnzüge nach Auschwitz-Birkenau noch die Aussonderung Behinderter durch Ärzte zur Vergasung in Hadamar und anderswo, noch der Vormarsch der Wehrmacht mit den mörderischen Einsatzgruppen im Gefolge – all das hätte nicht funktioniert ohne jene Dabeigewesenen, die sich nach 1945 hektisch bemühten, einen Beleg dafür vorzuweisen, daß sie doch in diesem oder jenen Konflikt mit irgendeinem fanatischen Nazi gestanden hätten um so ihre Nähe zum Terrorregime der Nazis oder gar ihr aktives Mitmachen zu verschleiern.

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