Die Macht der Bilder

Verwendung von Fotos im historisch Kontext

Da berichtet die WAZ Gelsenkirchen in einem an sich durchaus lesenswerten Artikel über die Vorstellung des Buches von Michael Bogdal „Europa erfindet die Zigeuner – Eine Geschichte von Faszination und Verachtung“ und illustriert den Artikel mit einem Bild, darunter: „Zigeneuerlager Roma und Sinti an der ehemaligen Beginenstraße in Gelsenkirchen Ückendorf. Foto: Privat“

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(Screenshot WAZ online)

Rechtschreibfehler sind menschlich, sowas kommt vor. Das die „Reginenstraße“ zur „Beginenstraße“ wird – kein wirklicher Beinbruch. Bedenklich ist jedoch die naive Bezeichnung „Zigeunerlager“ und die unreflektierte und unkommentierte Verwendung eines „Täterfotos“. Das von der WAZ verwendete Foto stammt aus einer Serie der „Rassehygienischen Forschungstelle“. Aufgenommen in Gelsenkirchen um 1940, im Hintergrund die Kokerei Alma, zeigt das Foto eine vorgebliche Lebenssituation zeitge-nössischer Sinti und Roma, in Szene gesetzt von den „Rassebiologen“ der „Rassenhygienischen und Bevölkerungspolitischen Forschungsstelle“ (RHF; nach ihrem Leiter „Forschungsstelle Ritter“).

Das die Aufnahme in einem Internierungslager entstand, ist für den Betrachter nicht ersichtlich, der Hinweis fehlt. Verschleiernd wird die Bildherkunft mit „Privat“ angegeben. Tatsächlich war das Internierungslager an der Reginenstraße in Gelsenkirchen ein Ort des Terrors, ein Zwangslager und eben nicht nur einfach ein „Zigeunerlager“, wie es in der Bildbeschreibung heißt. Die sorglose Verwendung solcher Fotos unterstreicht letztlich bestehende Vorurteile gegenüber Sinti und Roma.

Aus einer Reflexion über die Bilder der „Forschungsstelle Ritter“, Zitat: „Zigeunerleben“ wie Ritter und Mitarbeiter es sich vorstellten: Wohnwagen, Elend und Dreck. Diese Art von Fotos sollten die menschenverachtende NS-Darstellung des so genannten „Zigeunerlebens“ unterstreichen. Diese Bilder sind nicht nur selektiv in Ausschnitt und Motiven, die die Fotografen wählten, sondern auch durch die von Repression und sozialer Entrechtung beeinflusst, die ähnlich wie bei der jüdischen Minderheit zu Verelendung, verschärfter sozialer Ächtung, Konzentration an überbelegten Wohnplätzen, Zwangslagern oder Schulausschluß führten. Sie sind kein Abbild der sozialen Lebenswirklichkeit von Roma in Deutschland unter Normalbedingungen. Vergleicht man mit z. B. die realen Wohnsituation der zeitgenössischen Sinti und Roma, so stellt man fest, daß sie in hohem Maße statt in Wohnwagen das Land zu bereisen, in ganz normalen Wohnungen lebten, nicht wenige Sinti und Roma arbeiteten auch in den gleichen Berufen wie die Mehrheitsbevölkerung. Hierzu machte die RHF natürlich keine Bilder. Ihre Fotos sollten belegen, was nachzuweisen war: „Zigeuner“ als unstete „Nomaden“, kollektiv unintegrierbar, unabänderlich festgelegt auf eine primitive „asoziale“ „ziganische“ Lebensweise. Die Bilder haben also in einem hohen Maße inszenatorischen und legitimatorischen Charakter. Sie inszenieren das nationalsozialistische (und mehrheitsgesellschaftliche) Zigeunerphantasma und legitimieren die darauf aufbauend Ausgrenzung und Verfolgung. (…) Die Verwendung dieser Bilder erfordert ein besonders sorgfältiges Vorgehen, was die historische Einordnung, Beschreibung und Verwendung betrifft.“ ( weiterlesen…)

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