Endphasenverbrechen: Nur wenige Tage fehlten zur Freiheit

Stolperschwelle soll in Buer an Zwangsarbeiter erinnern

Auch in Gelsenkirchen gab es in den letzten Wochen und Monaten vor Kriegsende zahlreiche Endphasen-verbrechen, die sich vornehmlich gegen Zwangsarbeitende richteten. An Endphasenverbrechen waren alle NS-Täterformationen beteiligt: NSDAP-Funktionäre, Wehrmacht, Volkssturm, SS, Hitlerjugend und auch Zivilisten. Geheime Staatspolizei und Kriminalpolizei traten dabei jedoch mit besonderer Brutalität und Vernichtungswillen in Erscheinung. Noch am 28. März 1945, zwei Tage bevor US-Soldaten im Norden das Stadtgebiet Gelsenkirchens erreichten, erschossen Beamte der Gestapo Buer elf Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Westerholter Wald.

Neben KZ-Gefangenen bildeten ausländische Zwangsarbeitende eine weitere große Gruppe, gegen die sich die Gewalt der letzten Kriegsmonate ungebremst entludt. Sie galten als besonders gefährlich, als „Feind im Innern“. Schon allein ihre große Zahl schürt bei den Deutschen Sorge, dass sie beim Heranrücken der alliierten Truppen nicht mehr zu kontrollieren sein werden: Millionen „ausländische Arbeitskräfte“, so die damalige NS-Bezeichnung, mussten auf dem Gebiet des „Deutschen Reichs“ u.a. für die Kriegswirtschaft schuften. Alle ausländischen Arbeitskräfte wurden durch einen rassistisch-bürokratischen Repressions- und Kontrollapparat aus Wehrmacht, Arbeitsamt, Werkschutz, Polizei und SS streng überwacht. Kleinste „Ver-gehen“ von Zwangsarbeitern hatten zumeist den Tod zur Folge.

Ausländische Zwangsarbeiter wurden grade in der Endphase des Krieges als Bedrohung angesehen, ins-besondere von den Polizeibehörden. „Das Prinzip der Gefahrenabwehr durch Abschreckung mittels einer Verschärfung und Brutalisierung der Maßnahmen wurde in der Kriegsendphase zum handlungsleitenden Standard der Polizeiarbeit gegenüber den Ausländern.“ Es kommt zu zahlreichen Gewaltexzessen an KZ-Gefangenen und Zwangsarbeitern, aber auch an den eigenen „Volksgenossen“, an deutschen Soldaten und Zivilisten, die nicht mehr an den propagierten „Endsieg“ glauben wollen.

Die Verbrechen „an Gefängnisinsassen und ausländischen Zwangsarbeitern durch die Gestapo replizierten die Mordmethoden der Einsatzgruppen und Polizeibataillone im Osten – nunmehr allerdings im Reich selbst“. Sie spielt sich nicht mehr fernab des täglichen Lebens der meisten Deutschen ab – nicht an weit entfernten Frontlinien oder hinter den Zäunen und Mauern der Konzentrations- und Vernichtungslager -, sondern mitten im Kerngebiet des Deutschen Reiches, vor der „Haustür der Gesellschaft“.

In diesem Kontext steht die geplante Verlegung einer Stolperschwelle vor dem Polizeipräsidium Gelsen-kirchen-Buer. Dort befand sich neben dem Dienstsitz von Gestapo (Außenstelle Buer) und der Kriminal-polizei auch das Polizeigefängnis Buer, von dort begann für zahlreiche Menschen der Weg in den Tod. Die Stolperschwelle wird symbolhaft im Gedenken an mehr als 40.000 Männer, Frauen und Kinder aus West- und Osteuropa verlegt, die in Gelsenkirchen zwischen 1940 und 1945 als Zivilisten oder Kriegsgefangene zur Ableistung von Zwangsarbeit in der Deutschen Kriegswirtschaft und Rüstungsproduktion ausgenutzt und als billige Arbeitskräfte ausgebeutet worden sind. Mehr als 3.500 Zwangsarbeitende starben in Gelsenkirchen zwischen 1940-1945 durch „Arbeitsunfälle“, Mißhandlungen, gezielte Tötungen, hinzu kamen Sterbefälle durch Mangelernährung und unzureichende medizinische Versorgung.

Das 1927 eingeweihte Polizeiamt in Gelsenkirchen-Buer, einer der vielen Unrechtsorte während der Zeit der faschistischen Gewaltherrschaft 1933-1945. In dem Gebäude befand sich auch das Polizeigefängnis mit acht Einzel- und zwei Sammelzellen. Von dort begann für viele Menschen der Weg in den Tod.

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