So genannter Kriegsverrat: Genugtuung nach 64 Jahren

Die pauschale Aufhebung von NS-Urteilen steht nun bevor

Der Wahnsinn der nationalsozialistischen Diktatur hat knapp zwölfeinhalb Jahre gedauert, der Marsch in den Abgrund, genannt Zweiter Weltkrieg, gut fünfeinhalb Jahre. Aber erst jetzt, über 64 Jahre nach dem Ende des Grauens, zeichnet sich ab, dass einer der letzten Gruppen von Opfern, den sogenannten Kriegsverrätern, Genugtuung widerfährt. Nach Jahrzehnten des hinhaltenden Widerstandes hat sich die Union als letzte Bundestagsfraktion dazu bereiterklärt, per Gesetz die jedem Rechtsempfinden Hohn sprechenden NS-Urteile pauschal aufzuheben.

Nach langem Insistieren der Linkspartei hat sich die große Koalition jetzt dazu durchgerungen, »Kriegsverräter« aus der Nazizeit pauschal zu rehabilitieren. Mehr als 64 Jahre nach Kriegsende einigten sich die Fraktionen von Union und SPD in Berlin auf einen Gesetzentwurf, mit dem Todesurteile wegen des Delikts »Kriegsverrat« aus dem Militärstrafgesetzbuch des Dritten Reiches aufgehoben werden sollen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, erklärte am Mittwoch, das Gesetz werde umgehend in den Bundestag eingebracht und am 26. August verabschiedet.

Ob die so Verurteilten rehabilitiert werden sollten, war lange umstritten, da es in der CDU/CSU Bedenken gab, daß die »Täter« möglicherweise ihren fahnentreuen Kameraden Schaden zugefügt haben könnten. Die Union habe sich aber inzwischen der Meinung angeschlossen, daß die Paragraphen so pauschal gefaßt waren, daß die undifferenzierte Verhängung der Todesstrafe nicht rechtsstaatlich gewesen sei, sagte Oppermann.

Worum geht es genau?

Während der „Hochverrat“ auf den „inneren Bestand staatlicher Herrschaft“ zielt, so der renommierte Freiburger Militärhistoriker Wolfram Wette, bezeichnet der „Kriegsverrat“ eine „spezielle Form von Landesverrat, nämlich einen von Soldaten während eines Krieges begangenen Verrat“. Im Gesetzentwurf der Großen Koalition, der unserer Zeitung vorliegt, werden als Beispiele „politisch widerständige Gesinnung, Solidarität mit verfolgten Juden, Hilfe für Kriegsgefangene oder Unbotmäßigkeiten gegenüber Vorgesetzten“ aufgezählt. Und: „Der unbestimmte Tatbestand des Kriegsverrats hat sich als Instrument erwiesen, willkürlich nahezu jedes politisch missliebige Verhalten mit dem Tode bestrafen zu können.“

Die Zahlen sprechen für sich, auch wenn aufgrund von kriegsbedingten Aktenverlusten genaue Angaben schwierig sind. Lambrecht geht von 30 000 Todesurteilen wegen Kriegsverrats aus, von denen 20 000 vollstreckt worden seien. Der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt kommt im Standardwerk „Die Wehrmachtsjustiz 1933 – 1945“ zu folgenden Zahlen: „Während von 1907 bis 1932 in Deutschland 1547 Todesurteile verhängt worden sind, wovon 393 vollstreckt wurden, haben die Wehrmachtgerichte, niedrig angesetzt, 25 000 Todesurteile verhängt. Davon sind 18 000 bis 22 000 vollstreckt worden, das entspricht nahezu dem Fünfzigfachen.“

Die fehlende rechtsstaatliche Bestimmtheit der Strafvorschriften des Kriegsverrats werde auch durch neuere Untersuchungen zur Urteilspraxis belegt. Sie zeigten, dass Soldaten – und auch Zivilisten – für ganz unterschiedliche Handlungen wegen Kriegsverrats zum Tode verurteilt wurden: für politischen Widerstand, für die Hilfe für verfolgte Juden oder für Unbotmäßigkeiten gegen Vorgesetzte. Der unbestimmte Tatbestand des Kriegsverrats habe sich als Instrument der NS-Justiz erwiesen, um nahezu jedwedes politisch missliebiges abweichendes Verhalten als „Verrat“ zu brandmarken und mit dem Tode bestrafen zu können, so CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne. Über den Gesetzentwurf wird in einer Sondersitzung am 26. August abgestimmt.

Vgl.:
Mannheimer Morgen vom 2. Juli 2009
Junge Welt vom 4/5. Juli 2009
Bundestag Aktuell, hib-Meldung 208/2009 vom 2. Juli 2009

Vorab-Fassung des Entwurfes

Dieser Beitrag wurde unter Über den Tellerrand veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar