„Was, wegen der paar Leutchen so ein Aufstand?“ Einige Passanten sind fassungslos. Manche auch ärgerlich. Die Polizei verwehrt ihnen den Weg über den Willy-Brandt-Platz. Weil da die Freien Nationalisten ihre Kundgebung abhalten wollen, gegen „Moscheebauten, Ausländerwahlrecht, Multi-Kulti“. Bis 13 Uhr aber passiert nicht viel. 20, 25 eher junge Männer (kaum eine Frau ist dabei) hocken unterm Eichenbaum vorm Rathaus. Die meisten sind schwarz gekleidet, manche haben die Gesichter durch schwarze Sonnenbrillen und tief gezogene Kappen halb versteckt. Ein schwarzer Ford Vectra mit Hamburger Kennzeichen parkt mitten auf dem Platz, Megaphone auf dem Dach sind installiert.
Rings um das Grüppchen stehen Polizeiwagen und Polizisten. Eine Hundertschaft aus Duisbug ist vor Ort, Bezirksbeamten aus den umliegenden Städten sind im Einsatz. Ihre Aufgabe an diesem Samstagmorgen in der Gladbecker Innenstadt: Alle ruhig halten. Alle, das sind neugierige Passanten, die sich das Spektakel angucken wollen oder völlig ahnungslos in die Sperre gelaufen sind. Aber es sind auch die Gegendemonstranten, die auf Abstand gehalten werden. Ein Korridor von ca. 20 Metern hält die beiden Gruppen auseinander. Was sie aber nicht daran hindert, sich gegenseitig zu provozieren. Grinsend, feixend stehen einige der „Schwarzen“ auf dem Willy-Brandt-Platz an der Absperrung, fotografieren die zahlenmäßig weit größere Menge gegenüber. „Wir haben Nazis satt – raus aus unserer Stadt“ skandieren diese, unterstützt von Megaphonen und dem „offenen Mikrophon“, an dem jeder sprechen kann.
Unter ihnen auch die Antifa-Gruppe, zumeist Jugendliche, ebenfalls in schwarz gekleidet, den „Schwarzen“ auf dem Platz fast zum Verwechseln ähnlich. Auch sie haben sich zum Teil mit Sonnenbrillen und Kappen getarnt, um nicht von der auf einem Wagen installierten Polizeikamera aufgenommen zu werden. Zwei von ihnen werden festgenommen, als es kurzzeitig zu Tumulten kommt. Lautstark fordern sie die Freilassung. „Die Polizei sollte die da drüben festnehmen“
Währenddessen stehen Hunderte Bürger am anderen Ende der Hochstraße, gut 500 Meter weit weg, und halten eine Gegenkundgebung ab, organisiert vom Bündnis für Courage. Fahnen jeder Couleur werden hoch gehalten, viele rote sind darunter, aber auch Pax Christi und KAB, IGBCE. Bündnissprecher Roger Kreft: „Nazis stehen für Hass, Intoleranz, Dummheit. Zeigt ihnen, dass kein Platz hier für sie ist.“ Lauter Beifall, ohrenbetäubendes Gepfeife aus zuvor verteilten Trillerpfeifen begleitet die Rede.
Bürgermeister Ulrich Roland ist ebenfalls da. Er hat seinen Urlaub unterbrochen, um an diesem Morgen als Stadtoberhaupt den Neonazis „laut und deutlich zu sagen, sie schaden unserer Stadt und haben hier nichts zu suchen. Wir sagen nein zu braunen Gedanken, nein zu Fremdenfeindlichkeit und nein zu jedem Angriff auf unsere Grundwerte“. 30 Redner folgen und machen mit klaren Statements ihren Unmut über die rechtsextreme Kundgebung deutlich. So wie Pfarrerin Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup, die sagt: „Ich steh‘ hier, weil diese Kundgebung uns zeigen will, wohin Hass und Ausgrenzung führen kann.“ So wie Propst Karl-Heinz Berger: „Ich steh hier, weil ich davon überzeugt bin, dass Gespräche und Diskussionen nicht reichen, um ein eindeutiges Zeichen gegen Rassismus und Intoleranz zu geben. Das muss in der Öffentlichkeit geschehen.“ György Angel: „In der IGBCE Brauck sind ein Drittel der 800 Mitglieder nicht deutscher Herkunft. Ich selbst bin gebürtiger Ungar. Ich habe mit Italienern, Polen, Türken, Spaniern unter Tage gearbeitet. Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. Kein Fußbreit den Nazis in Gladbeck.“
Kurz vor 13 Uhr löst sich die Gegenkundgebung auf, die Menge zerstreut sich – oder zieht weiter Richtung Rathaus. Denn jetzt macht die Nachricht die Runde:Über 100 Nationalisten wurden am Bahnhof von der Polizei festgehalten, sie sind jetzt auf dem Weg zum Willy-Brandt-Platz. Begleitet von 30 Polizeiwagen kommen sie dort an, stellen sich in Richtung Hertie auf und schwenken Fahnen.
Jetzt sind es doch 170 schwarz gekleidete Freie Nationalisten, die vor dem Banner an der Rathaustür („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Gladbeck war, ist und bleibt eine Stadt, in der Freiheit, Gleichheit und Toleranz gelebte Werte eines friedlichen Miteinanders sind“) versuchen, ihre Meinung per Megaphon kund zu tun. Begleitet werden sie vom ohrenbetäubenden Gepfeife und Gegenreden von gegenüber. „Aber alles friedlich bisher“, sagt Polizeipressesprecher Andreas Weber auf Anfrage.
Quelle: WAZ Gladbeck, 05.Juli 2008. Von Maria Lüning