An einem Friedhof der Gemeinde Möhnesee suchen Experten nach den sterblichen Überresten von 33 russischen Zwangsarbeitern. Gestern wurden vier Skelette entdeckt, die aber nicht von Zwangsarbeitern stammen dürften.
MÖHNESEE. „9496“ steht kaum lesbar auf dem angerosteten Stück Metall, das Volker Schneider bei dem Skelett des 1,72 Meter großen Mannes gefunden hat. „Eine Lagermarke, eine Art Erkennungsmarke aus einem Arbeitslager“, sagt der Umbetter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Damit ist klar: Die vier Toten, die im Kreis Soest am Rande der Kreisstraße 31 zwischen den Dörfern Brüllingsen und Ellingsen unweit eines Friedhofs begraben wurden, waren Kriegsopfer.
Seit Donnerstag lässt die Bezirkregierung Arnsberg, wie gestern berichtet, auf einem Getreidefeld neben dem Friedhof mit einem Bagger nach dem genauen Bestattungsort von 33 unbekannten russischen Zwangsarbeitern graben. Schneider glaubt jedoch nicht, dass die vier zu den 33 Arbeitern gehörten.
Vor 63 Jahren am 4. April 1945 geschah ganz in der Nähe eine Tragödie. Eine Gruppe von 1500 bis 2000 Zwangsarbeitern wurde, bewacht von wenigen deutschen Soldaten, von Soest in Richtung Osten über eben jene Straße geführt, wie der Hobbyhistoriker Willy Bender aus Möhnesee-Körbecke erzählt. Nach Augenzeugenberichten hätten plötzlich drei oder vier amerikanische Tiefflieger den Marsch beschossen. Die vier deutschen Soldaten Ernst Kückelsberg (55), Karl Wilhelm Rieseler (37), Christian Pelzer (36) und Friedrich Scherna (60) kamen dabei ums Leben. Mit ihnen 33 russische Gefangene, deren Namen bis heute unbekannt sind.
Gedenkstein an der „Russenecke“
Die vier Soldaten wurden auf dem Friedhof bestattet. Ein Landwirt soll die Leichen der Russen mit Hilfe von zwei polnischen Zwangsarbeitern ein paar Tage später direkt am Friedhof zusammen vergraben haben. An der von der Bevölkerung Russenecke genannten Stelle wurde später ein Gedenkstein mit dem Text „Hier ruhen 33 unbekannte Sowjetbürger“ aufgestellt. Nach Presseberichten über Grabungen nach Kriegsopfern meldeten sich dann Zeitzeugen bei der Bezirkregierung. Sie gaben an, dass die Toten nicht dort, sondern auf dem angrenzenden Feld wenige Meter entfernt vergraben worden seien. Bei der Suche nach dem genauen Ort stießen die Experten nun auf die Überreste der vier Männer.
„Es waren keine Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangenen aus Russland“, sagt der 59-jährige Schneider, der seit 15 Jahren für die Kriegsgräberfürsorge vor allem in Nordrhein- Westfalen arbeitet. Schneider stützt seine Annahme vor allem auf den Zustand der Zähne. Diese seien nicht so abgenutzt wie üblicherweise bei russischen Gefangenen. Außerdem sollen die 33 gemeinsam vergraben worden sein. So könnten die vier etwa Holländer, Franzosen oder Belgier gewesen sein.
Außer den Skeletten fanden die Experten nicht viel: ein Klappmesser, verrottete Schuhe, einen Knopf und einen Reichspfennig von 1935. Die Todesursache ist unklar jedoch: Bei dem Mann mit der Marke, der nach Schätzung von Schneider bei seinem Tod zwischen 42 und 48 Jahren alt war, entdeckte der Umbetter eine Schussverletzung im Oberarm, die zu klein für die Bordwaffen der Tiefflieger ist. „Der Schuss ist von hinten gekommen und könnte tödlich gewesen sein“.
Weitere Hinweise auf bisher unbekannte Gräber
Der zuständige Dezernent der Bezirksregierung, Hans-Bernd Besa-von Werden, will nun versuchen, die Identität des Mannes mit Hilfe der Marke doch noch aufzuklären. Auch wenn das Grab der 33 nicht gefunden wird – zu tun bleibt für die Umbetter genug. Wiederum veranlasst durch die Berichterstattung über die Grabung haben sich bereits mehrere Bewohner aus der Region bei Besa-von Werden mit Hinweisen auf weitere bislang unbekannte Kriegsgräber gemeldet. Ihnen will der Dezernent nun nachgehen. Auf dem Friedhof von Möhnesee-Ellingsen und -Brüllingsen soll unterdessen eine neue Gedenkstätte eingerichtet werden. Auch die Gebeine der vier Toten, die nun in schwarzen Pappsärgen ruhen, sollen dort bestattet werden. (dpa)
NRZ, 25.07.2008, von Helge Thoben