Lebensspuren sichtbar machen – Stolperschwelle und 17 weitere Stolpersteine in Gelsenkirchen

Aufmerksam verfolgten Schülerinnen und Schüer der Klasse 7.2. der Gesamtschule Berger Feld am Donnerstag die Arbeit von Bildhauer und Spurenleger Gunter Demnig. Dichtgedrängt umringten die jungen Menschen die Verlegestellen im Kreativquartier Ückendorf. Die Jugendlichen haben jüngst die Patenschaft für einen Stolperstein für einen 15jährigen Schüler übernommen, der 1942 im deutschen Vernich-tungslager Auschwitz ermordet wurde. Dieser Stolperstein für Walter Hes wird im nächsten Jahr vor dem Grillo-Gymnasium verlegt.

Stolpersteinpatin Uta Meyhöfer ist eigens aus Norddeutschland nach Gelsenkirchen gekommen. Sie hat die mit der Übernahme von Patenschaften die zehn Stolper-steine finanziert, die nun an der Bergmannstraße an die Familien Heymann, Löwenstein und Windmann erinnern. Ihre eigene Familiengeschichte ist eng mit den ehemaligen jüdischen Bewohnern des Hauses verbunden: Ihre Mutter hat als Kind dort gewohnt, in einer der Wohnungen, aus dem zuvor die Juden vertreiben worden sind. Ihr Großvater hatte seinerzeit Möbel der jüdischen Menschen „übernommen“, eine Vitrine steht noch heute bei einem Familienmitglied in Norddeutschland.

Stolpersteinpatin Ingrid Remmers (MdB DIE LINKE) ließ es sich nicht nehmen, an der Verlegung „ihrer“ Stolpersteine in Erinnerung an Familie Buchthal an der Bochumer Straße teilzunehmen – sie hatte die Patenschaft und damit die Finanzierung dieser drei Stolpersteine übernommen. In ihrem Redebeitrag betonte Remmers, wie wichtig der Einsatz für unsere Demokratie ist: „Auch diese drei Stolpersteine sollen Erinnerung und Mahnung zugleich sein. Lasst uns auch zukünftig Menschen in ihrem Anderssein akzeptieren, lasst uns widerstehen bei Menschenrechts-verletzungen.“ Die Bundestagsabgeordnete bedankte sich persönlich bei Bildhauer Demnig für seine ausdauernde und hervorragende Erinnerungsarbeit.

Ihre Fortsetzung fand die Verlegung der kleinen Denkmale an der Hedwigstraße in Resse. Vor dem Emmaus-Hospiz erinnert nun ein Stolperstein an den jüdischen Arzt Dr. Samuel Hocs, der, bevor er von den Nazis vertreiben wurde, als Assistenzarzt am damaligen St. Hedwig-Hospital tätig war. Stolpersteinpatin Astrid Kramwinkel stellte mit bewegenden Worten die Fluchtgeschichte des jüdischen Arztes dar, die 1933 in Nazi-Deutschland ihren Anfang nahm. Sichtlich bewegt lauschten die Teilnehmenden der musikalischen Darstellung dieser Flucht, die junge Flötistin Maria Jarowaja improvisierte auf der Querflöte die Odysee von Dr. Hocs, die schließlich in Südamerika endete.

Die heutigen Bewohner des Hauses, in dem Dr. Caro mit Frau und Sohn vor der Flucht nach Holland lebte und praktizierte, erfuhren bisher ihnen unbekannte Details aus dem Leben der Arztfamilie. Die Caros konnten mit Hilfe der holländischen Widerstandsbewegung versteckt die Befreiung erleben. Dr. Caro kehrte nach Buer zurück und nahm seine Tätigkeit als Arzt in seinem Haus an der Buer-Gladbecker-Straße, das ihm die Nazis zuvor geraubt hatten, wieder auf. Eine ehemalige Patientien von der Caro, heute 94 Jagre alt, nahm ebenfalls an der kleinen Zeremonie teil, „Ich erinnere mich gut an Dr. Caro, er war mein Hausarzt“ erzählte uns die betagte Dame.

Die Kreispolizeibehörde Gelsenkirchen entsandte eine offiziellle Vertreterin, die an der Verlegung der ersten Stolperschwelle Gelsenkirchens vor dem Polizeipräsidium Buer teilnahm. Der Text auf der Stolperschwelle erinnert an die mehr als 40.000 Menschen aus Ländern West- und Osteuropas, die zwischen 1940-1945 zur Ableistung von Zwangsarbeit nach Gelsenkirchen verschleppt worden sind.

Gleichwohl macht die Stolperschwelle einen der Gelsenkirchener NS-Unrechtsorte wieder sichtbar, denn im Polizeipräsidium befand sich neben dem Dienstsitz der Gestapo und Kripo auch ein Polizeigefängnis, ein dunkler Ort. Waren im Polizei-gefängnis in den ersten Jahren nach der Machtübergabe vornehmlich Regimegegner inhaftiert, stieg die Zahl der Gefangenen in den letzten beiden Kriegsjahren um ein Vielfaches an, zumeist waren es nun Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die dort eingesperrt und gequält wurden. Für alle dort inhaftierten waren die Zellen im Polizei-gefängnis Buer ein Ort der Ungewissheit und Angst, des Hungers, der Folter und Schmer-zen, von dort begann für viele Zwangsarbeitende der Weg in einen gewaltsamen Tod.

Am 23. Mai 2019 hat Gelsenkirchen eine erste Stoperschwelle bekommen. Stolperschwellen sind eine Sonderform der Stolpersteine, sie werden von Bildhauer Gunter Demnig gestaltet und verlegt. Stolpersteine sind jeweils einem einzelnen Individuum gewidmet, Stolperschwellen erinnern an Opfergruppen und Unrechtsorten.
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