„Nazis hält man nur dadurch auf, dass man sich ihnen in den Weg stellt, bevor sie so stark wie 1933 geworden sind“
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihre Berichterstattung über den – schließlich bereits in Essen wieder abgebrochenen – Aufmarsch der Partei „Die Rechte“ am 1. Mai 2015 von Essen-Kray nach Gelsenkirchen-Rotthausen, und insbesondere die ausführliche Berichterstattung über die demokratischen Gegenproteste in beiden Städten hat mich sehr gefreut. Auch die Hinweise auf die Gefahren, die dadurch entstünden, dass die rechtsextremen Demonstranten der „Die Rechte“ unmittelbar, „nur durch eine Bordsteinkante getrennt“ am Ernst-Käsemann-Platz vorbeimarschierten, auf dem ein großes Freundschaftsfest stattfand, fanden Platz in ihrer Zeitung, ebenso wie die Versicherung der Polizei, die jedem Demonstranten Zugang zum Demonstrationsort zusagte.
Leider befindet sich eine deutliche Lücke in Ihrer Berichterstattung. Über die Ereignisse, die dazu führten, dass die Rechtsextremisten mit ihren schwarzweißroten Fahnen des undemokratischen Kaiserreiches Gelsenkirchener Stadtgebiet gar nicht erst erreichten und die Polizei die Demonstranten auf dem Ernst-Käsemann-Platz in Rotthausen nicht vor ihnen schützen musste, wurde im Gelsenkirchener Lokalteil überhaupt nicht berichtet.
Von Ihrer Berichterstattung unbemerkt fanden, organisiert von einem Bündnis junger Antifaschisten, zwei Sitzblockaden statt. Die erste an einer Radfahrerbrücke über dem geplanten Aufmarschgelände der „Die Rechte“. Die zweite, etwa 50 Meter von der Gelsenkirchener Stadtgrenze entfernt, ebenfalls auf der geplanten Strecke der Rechtsextremisten. Diese zweite wurde schließlich von zahlreichen Bürgern der Stadt, die eine Kundgebung in der Nähe durchgeführt hatten, spontan unterstützt.
Zunächst von der Polizei eingekesselt, wurde sie schließlich nur nach Essen hin abgesichert. Wie mir berichtet wurde, hatte sich sogar Oberbürgermeister Baranowski auf den Weg zur Stadtgrenze gemacht, kam aber nicht durch. Im Laufe des Abends trafen – wie ich selbst – noch weitere Demonstrationsteil-nehmer aus Essen ein, die sich ebenfalls den Rechtsextremisten in den Weg stellten.
Die Polizei hat diese spontane Kundgebung trotz mehrfacher Aufrufe, die Demonstration aufzulösen, nicht geräumt. Die aus Dortmund und anderen Orten stammenden rechtsextremen Demotouristen wurden stattdessen aufgefordert, wieder zum Bahnhof Kray-Nord zurückzumarschieren, da sie ihren geplanten Kundgebungsort nicht mehr bis 22 Uhr würden erreichen können.
Erfreut über diesen Erfolg, zogen wir zum Ernst-Käsemann-Platz und informierten auf dem Weg dorthin die Anwohner, dass wir nicht die Rechten sind, sondern die, die sie aufgehalten haben. Das Freund-schaftsfest auf dem Ernst-Käsemann-Platz war zwar schon beendet, doch für eine kurze Zeit belebten wir den Platz erneut.
So wichtig Freundschafts-, Kultur- und Friedensfeste sind, Nazis hält man nur dadurch auf, dass man sich ihnen in den Weg stellt, bevor sie so stark wie 1933 geworden sind. Das sollten alle Demokraten aus unserer Geschichte gelernt haben.
Ich finde es schade, dass Ihre Zeitung darüber nicht mehr berichtet hat und wünsche mir, dass Sie das der Vollständigkeit halber mit der Veröffentlichung dieses Leserbriefes nachholen.
Mit antifaschistischen Grüßen
Knut Maßmann, Sprecher der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) Kreisvereinigung Gelsenkirchen