Schule behauptet: „Gedenkstätte hat nie existiert“
In Wiesbaden lässt eine Schule eine Gedenkstätte für Sinti und Roma still und heimlich abbauen. Nach Protesten wird behauptet, sie habe nie existiert. Sinto Alexander Meyer ist fassungslos: „Ich dachte, Gedenkstätten seien für die Ewigkeit.“ Doch nicht an der Krautgartenschule im Wiesbadener Stadtteil Kostheim. Dort ist eine Gedenkstätte entfernt worden, die an Meyers Mutter Maria Theresia Lehmann erinnerte. Lehmann lebte früher in Kostheim und wurde von den Nationalsozialisten deportiert.
Bis Februar war die Gedenkstätte, die seit sieben Jahren existierte, einer von etwa hundert Orten, die das Dokumentationszentrum der Sinti und Roma in Heidelberg auf seiner Website vorstellt. Doch seit Kurzem ist der Eintrag gelöscht. Darum gebeten hat das Landesschulamt in Wiesbaden mit einem Schreiben vom 7. Februar 2013. Die Gedenkstätte gebe es nicht mehr. (…) … Weiterlesen
Schulleiterin Edith Smetana und das Kollegium der Krautgartenschule nehmen gerne Statements und Kommentare zu diesem Skandal entgegen:
Krautgartenschule im Sampel
Steinernstraße 54, 55246 Mainz-Kostheim, Fon: 06134/603448 Fax: 06134/603449
E-Mail: poststelle@krautgartenschule.wiesbaden.schulverwaltung.hessen.de
Zur Eröffnung der Gedenkstätte schrieb die „Allgemeine Zeitung“ am 28.01.2006:
Den Terror überlebt: Holocaust-Gedenkstätte erinnert an ein Kinderschicksal
KOSTHEIM Im Gedenken an Maria-Theresia Lehmann, die in der Nazi-Zeit in Kostheim lebte, haben Viertklässler der Krautgartenschule mit Schulleiterin Ingar Riechert eine Gedenkstätte für die 1940 Deportierte errichtet. Zur Ausstellungseröffnung war die Familie Lehmann-Meyer gekommen, die auch Familienfotos zur Verfügung stellte. Von Heidi Ulrich.
Das damals elfjährige Mädchen lebte mit ihrer Familie bis zum 16. Mai 1940 im Mainzer Weg 25. Im Morgengrauen wurde die Musikerfamilie zusammen mit etwa 100 Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Sinti und Roma ins Konzentrationslager verschleppt. Nach einem Aufenthalt in einem Sammellager in Asperg folgte am 22. Mai 1940 der Transport nach Polen in das Konzentrationslager in Jedrzejow, wo einer der Brüder der kleinen Maria-Theresia ermordet wurde. Sie selbst überlebte den Terror der Nazis und wohnte in Mannheim, wo sie 1999 verstarb.
„Es war eine Herausforderung, dieses Thema mit Viertklässlern zu behandeln“, sagte Schulleiterin Ingar Riechert. Der Versuch gelang, wie ein Blick in den Schaukasten zeigt, in dem Fotos die Deportation der Sinti und Roma aus Amöneburg, Kastel und Kostheim zeigen. Alle Stationen von der Verhaftung über den Transport bis zum Aufenthalt im damaligen Zwischenlager Hohenasperg sind dokumentiert. Daneben zeigen viele Fotos das Leben von Maria-Theresia Lehmann und ihrer Familie.
Unter dem Motto „Vorurteile machen Menschen zu Außenseitern“ fertigten die Schüler Collagen an und brachten ihre Gedanken zum Jahr 1940 und ihre Wünsche für die Zukunft zum Ausdruck. Die Idee, das Schicksal von Maria-Theresia Lehmann nachzuzeichnen, entstand, als in der Ethikgruppe und der evangelischen Religionsgruppe beim Unterrichtsthema Judenverfolgung viele Fragen aufkamen.
Die Arbeit an der Ausstellung hatte Anfang Dezember begonnen. Durch die Lebensgeschichte eines Mädchens gleichen Alters aus dem gleichen Ort solidarisierten sich die Schüler schnell mit ihr. Die NS-Verbrechen wurden so für die Dritt- und Viertklässler begreifbar. Ingar Riechert blickt zurück: „Im Unterricht wurde viel geredet, Fragen gestellt und sowohl über die Gründe von Ausgrenzung, als auch über persönliche Handlungsmöglichkeiten gesprochen.“ Die Gedenkstätte in der Krautgartenschule sei ein Ort des Erinnerns, um das Gedenken zu pflegen und wach zuhalten. Außerdem sei die Ausstellung als Anfang und Inspiration für andere Schulen gedacht, das Thema zu behandeln. Zur Eröffnung trugen die Schüler Verse und Dialoge zum Thema Anders- und Fremdsein vor.
Hartmut Bohrer vom Förderkreis Gedenkstätte unterstützte das Projekt durch seine Recherche. Bis heute hat der Historiker das Schicksal von über 100 deportierten Menschen zusammengetragen. Das Ziel, eine Gedenkstätte für Opfer und Widerstand zu schaffen, ist bisher unerreicht.
Der Vorsitzende des Landesverbands Hessen der Sinti und Roma, Adam Strauß, machte auf eine Ausgrenzung in Schulen aufmerksam: „Ich erlebe es seit drei Generationen: Rassismus wird vom Großvater, zum Vater, zum Sohn weitergegeben. Ein Volk, das seit 600 Jahren im deutsch-sprachigen Raum lebt, wird aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit durch Vorurteile diskriminiert.“ Unterstützung gab es von Stadtrat Helmut von Scheidt: „Die Spurensuche ist der richtige Weg, weil Zahlen zu unglaublich für den Unterricht an der Grundschule sind. Es sollte die Geschichte der Schule und der Stadtteile betrachtet werden.“
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