Stadtgeschichte: Das „Judenhaus“ an der Markenstrasse 29

NS-Zeit in Gelsenkirchen-Horst

Die Bezeichnung „Judenhaus“ wurde in Nazi-Deutschland im Alltags- und Behördengebrauch für Wohnhäuser aus ehemals jüdischem Eigentum verwendet, in die ab Herbst 1939 ausschließlich Juden eingewiesen wurden. Diese Häuser wurden außen mit einem großen, gelben Stern gekennzeichnet. Die „Judenhäuser“ waren nichts anderes als kleinräumige Ghettos, sie standen unter ständiger Kontrolle der Gestapo. Im Gelsenkirchener Ortsteil Horst befanden sich so genannte „Judenhäuser“ an der Fischerstrasse 173, der Markenstrasse 28 und 29.

Die Erfassung der jüdischen Bevölkerung und ihre Konzentration in den so genannten „Judenhäusern“ war eine Vorstufe für die im Herbst 1941 beziehungsweise Januar 1942 einsetzenden Massendeportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager in Osteuropa. Am 27. Januar 1942 verließ der erste Menschentransport Gelsenkirchen, mehr als 350 Gelsenkirchener Juden wurden zunächst in das Ghetto Riga verschleppt, die wenigsten von ihnen überlebten die NS-Mord-Maschinerie.

Die Markenstrasse 29 in Gelsenkirchen-Horst heute. Im Erdgeschoß befand sich bis Ende der Dreißiger Jahre das Schuh- und Lederwarengeschäft des jüdischen Kaufmanns Moritz Stein.
Die Markenstrasse 29 in Gelsenkirchen-Horst heute. Im Erdgeschoß befand sich bis Ende der Dreißiger Jahre das Schuh- und Lederwarengeschäft des jüdischen Kaufmanns Moritz Stein.

In der Nazizeit wurde Juden der Besitz an Wohneigentum untersagt – sie wurden enteignet, Haus- und Grundbesitz wurde „arisiert“. Am 30. April 1939 wurde das „Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden“ erlassen. Wie zahlreiche andere seit 1933 erschienene Gesetze und Verordnungen trug es massiv dazu bei, das Leben jüdischer Familien weiter zu sanktionieren. Juden und „Arier“ sollten nicht mehr unter einem Dach wohnen, Mietverhältnisse mit Juden konnten nun nach Belieben aufgehoben werden. Mit Hilfe der Stadtverwaltung – federführend war dabei das Wohnungsamt – wurden jüdische Familien erfasst und zwangsweise in die so genannte „Judenhäuser“ einquartiert. Dies waren in der Regel Häuser, die sich (noch) in jüdischem Eigentum befanden. In die Wohnungen der dort lebenden Menschen wurden in der Folge weitere Familien zwangsweise einquartiert, so dass immer mehr Menschen auf kleinstem Raum zusammengepfercht wurden. In Hamburg wurden beispielsweise pro Person nur sechs bis acht Quadratmeter Wohnfläche zugestanden.

Das Wohn- und Geschäftshaus an der Markenstrasse 29 gehörte dem jüdischen Schuh- und Lederwarenhändler Moritz Stein, der im Erdgeschoß bis zu seinem Tod im Dezember 1938 ein Schuhgeschäft betrieb. Im Haus wohnte bereits die Familie Süsskind, zwangsweise dort einquartiert wurden dann ab 1940/41 Angehörige der Familie Langer, Frieda und Hermann Neudorf, Auguste Bry und die Eheleute Siegmund und Wittel Heinberg. Im Herbst 2012 verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig vor dem Haus Stolpersteine zur Erinnerung an Familie Süsskind.

Victor Klemperer notierte über ein Dresdner „Judenhaus“: „Cohns, Stühlers, wir. Badezimmer und Klo gemeinsam. Küche gemeinsam mit Stühlers, nur halb getrennt – eine Wasserstelle für alle drei (…) Es ist schon halb Barackenleben, man stolpert übereinander, durcheinander.“ Klemperer schreibt in seinen Tagebüchern mehrfach über ihm berichtete wie auch selbst erlebte „Haussuchungspogrome“, bei denen die Bewohner von Gestapobeamten beleidigt, bespuckt, geohrfeigt, getreten, geschlagen und bestohlen wurden. „Im Aufwachen: Werden „Sie“ heute kommen? Beim Waschen…: Wohin mit der Seife, wenn „Sie“ jetzt kommen? Dann Frühstück: alles aus dem Versteck holen, in das Versteck zurücktragen. (…) Dann das Klingeln … Ist es die Briefträgerin, oder sind „Sie“ es?“

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