Stigma „Asozial“ – Erinnerung an Ausgegrenzte

Verfolgung und Ermordung so genannter „Asozialer“

Mit der Machtübergabe an die Nazis begann 1933 auch die Verfolgung und Ausgrenzung der als „Asoziale“ definierte Menschen. Der Sammelbegriff „Asoziale“ war eine übliche Bezeichnung für die als „minderwertig“ qualifizierte Menschen aus den sozialen Unterschichten (so genannte „Ballastexistenzen“), die nach NS-Auffassung Randgruppen zugehörten sowie „schwere Leistungs- und Anpassungsdefizite“ aufgewiesen hätten. Menschen und Menschengruppen wurden so als Ressourcen verbrauchende „Schädlinge“ und „unnütze Esser“ etikettiert, für die die als „gutwillig“ und „fleißig“ bezeichnete Mehrheit der „Volksgemeinschaft“ zu ihrem Nachteil aufkommen müsse. Wer sich nicht in die Nazi-Schablonen pressen ließ, wurde schnell als „Asozialer“ bezeichnet und verfolgt.

Als „asozial“ galt laut einem Grunderlass zur „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ vom 14. Dezember 1937: „(…) wer durch sein gemeinschaftswidriges, wenn auch nicht verbrecherisches Verhalten zeigt, dass er sich nicht in die Gemeinschaft einfügen (…), sich der in einem nationalsozialistischen Staat selbstverständlichen Ordnung fügen will“ (…). So wurden beispielsweise Bettler, Wohnungslose, Wandermusiker, Trinker, Prostituierte, Heimzöglinge, Fürsorgeempfänger oder Jugendliche und Frauen aus unteren Schichten als „Asoziale“, „Gemeinschaftsfremde“ und „Volksschädlinge“ diffamiert, dazu gehörten auch Personen, die mit Unterhaltszahlungen im Rückstand waren (so genannte „säumige Nährpflichtige“) und auch Homosexuelle. 

Der Zwang zum tragen des schwarzen Winkels sprach auch diesen KZ-Häftlingen das Menschsein ab
Abb.: Der Zwang zum tragen des schwarzen Winkels sprach auch diesen KZ-Häftlingen das Menschsein ab

Bedingt durch die Organisationsstrukturen der NS-Verfolgungsbehörden wirkten arbeitsteilig verschiedene Beamte am Gesamtprozess der Verfolgung, Ausgrenzung und Ermordung einzelner Menschengruppen mit. Hauptakteure in verschiedenen Funktionen waren in Gelsenkirchen unter anderem Dr. Friederich Wendenburg, Paul Schossier, Dr. Heinrich Hübner, Fritz Capelle, Heinrich Beßmann, Fritz Schenk, Heinrich Schmidtkamp, Dr. Otto Schäfer, Dr. Wilhelm Schumacher, Peter Stangier und Carl Böhmer.

Verschiedene Stellen der staatlichen Verfolgungsbehörden gingen dabei auch gezielt gegen Jugendliche vor, die sich in Familie und Schule, in den Jugendorganisationen und in ihrer Freizeit nicht so verhielten wie die Nazis es von ihnen verlangten. Dies betraf zum Beispiel Jugendliche, die gegenüber Eltern oder Lehrern aufmüpfig waren, die den Dienst in der „Hitlerjugend“ (HJ) und dem „Bund deutscher Mädel“ (BDM) verweigerten oder wegen Ungehorsam ausgeschlossen worden waren, die nicht so schnell und so viel arbeiten wollten wie andere, die homosexuell waren oder ein freieres Sexualleben haben wollten. Wer sich dem nicht fügte, hatte mit Zwangsmaßnahmen, Schikanen und der Unterbringung in einer sogenannten „Fürsorgeanstalt“ zu rechnen.

Die Entscheidung, ob ein „gemeinschaftswidriges Verhalten“ vorlag, lag dabei allein bei den Ordnungs- und Polizeibehörden. Betroffen waren somit alle Personen, die nicht in das Konzept der „NS-Volksgemeinschaft“ passten – dass führte natürlich auch zu willkürlichen Einweisungen in die KZ. Als Einweisungsbehörde konnte die Kriminalpolizei tätig werden, ohne dass eine Straftat vorlag – allein ein Verdacht reichte aus.

In das Konzentrationslager Dachau konnten bereits in den ersten Jahren des NS-Terrorregimes so genannte „asoziale“ Häftlinge auf Antrag von Fürsorgeämtern eingewiesen werden. Im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ kam es im Frühjahr und Sommer 1938 zu einer Verhaftungswelle, die einen Höhepunkt in der „Asozialenverfolgung“ des NS-Staates darstellte. Mehr als 10.000 Roma und Sinti, Juden und „deutschblütige Asoziale“ wurden bei dieser „Aktion“ in Konzentrationslager verschleppt, davon 6.000 im Juli 1938 in das KZ Sachsenhausen. Sie wurden in den Lagern mit einem schwarzen Winkel auf der Häftlingskleidung markiert und bildeten in den KZ eigene Häftlingsgruppen, die in der KZ-Hierarchie ganz unten standen. Die Sterberate unter diesen Häftlingen war besonders hoch.

Keine Rehabilitation und Entschädigung der NS-Opfer

Die als „Asoziale“ Verfolgten galten nach 1945 nicht als NS-Opfer, sondern als Krimminelle und waren so von jeglicher Anerkennung und Entschädigung ausgeschlossen – nicht so ihre ehemaligen Verfolger, die sich über üppige Renten und Pensionen freuen konnten. Erst als es für die meisten der NS-Opfer schon zu spät war, führten einige Bundesländer Härtefallregelungen ein. Es haben bis heute 163 „Asoziale“, 17 „Arbeitsverweigerer“, 24 „Arbeitsscheue“ und 1 „Landstreicher“ jeweils eine Einmalzahlung in Höhe von knapp 2500 Euro erhalten – 205 Menschen von mehreren Zehntausend Verfolgten. Nicht die Tatsache des erlittenen Unrechts und der Verfolgung bzw. ihre Schwere entschied letztlich über die Einbeziehung in die „Wiedergutmachung“, sondern Beweggründe der früheren Verfolger im Rahmen eines fortbestehenden gesellschaftlichen Kontextes. Die Zuschreibung „Asozial“ in den Opferakten existiert noch immer, auch bei inzwischen Verstorbenen.

Stolpersteine

Recherchen der Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen in den Akten des KZ Dachau führten jetzt auf die Spuren der Leidenswege der Gelsenkirchener Bürger Josef Kendzierski aus Rotthausen, Walter Klüter aus der Feldmark, Erich Mosdzinski aus Buer und Heinrich Roth aus der Altstadt, die von den Nazis als „Asozial“ gebrandmarkt im Konzentrationslager Dachau ermordet wurden. Das diesen Menschen geschehene Unrecht darf nicht vergessen werden.

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