Rathaus Buer: Stadt will Text der Erinnerungsortetafel aktualisieren

Jüngst hatten wir auf die damalige SA-Folterstätte im Rathaus Buer hingewiesen und die Errichtung eines entsprechenden Gedenk- und Erinnerungsortes angeregt. Auf der Sitzung der Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Nord am 1. September 2022 im Rathaus Buer wurde den Lokalpolitiker*Innen vom Leiter des Instituts für Stadtgeschichte dieses dunles Kapitel der Gelsenkirchener Stadtgeschichte erläutert. Entsprechend bestürzt und betroffen zeigten sich die meisten Teilnehmer*innen der Sitzung. Die Stadt Gelsenkirchen will nun die bereits am Rathaus Buer angebrachte Infotafel entsprechend ergänzen und aktualisieren.

Die am Rathaus im Rahmen des Projektes „Erinnerungsorte“ angebrachte Tafel thematisiert die Existenz der Folterstätte bisher nicht, lediglich ein Satz streift die 12 Jahre währende Zeit des NS-Terrorregimes: „1933 zerstörten hier die Nationalsozialisten die kommunale Stadtverwaltung.“ Jetzt will die Stadtverwaltung Gelsenkirchen den Text überarbeiten und aktualisieren.
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Zimmer 71: Die NS-Folterstätte im Rathaus Buer

In Zeiten des Terrors, wenn es den Herrschenden darum geht, ein Klima von Bedrohung und Willkür zu erzeugen, sind perverse Gewalttäter wie beispielsweise Hugo König aus Gelsenkirchen-Buer gradezu gefragt: jener Typus, der zunächst in der SA (Sturmabteilung, Parteiarmee der NSDAP) eine Heimat fand, in deren Uniform er ungestraft politisch missliebige Mitbürger zusammenschlagen und quälen konnte.

Der verurteilte Haupttäter Hugo König aus Buer nennt im gegen ihn 1947 geführten Strafprozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit pp. die ‚offizielle‘ Bezeichnung der Gelsenkirchener Folterstätte während seiner „Tätigkeit“ dort : „Exekutivstelle der SA, Buer – Rathaus, Zimmer 71“ (SA-Sturmbann III u. IV). Wie uns das Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen (ISG) jüngst auf Nachfrage mitteilte, befinden sich im Stadtarchiv keinerlei weitere Unterlagen bzw. Informationen zu dieser Folterstätte und den damit verbundenen Ereignissen im Zimmer 71.

Gleichwohl dürfte auch diese Folterstätte im Rathaus Buer seinerzeit in weiten Teilen der Bevölkerung bekannt gewesen sein, nicht zuletzt durch wieder entlassene Opfer, die über ihre ‚Behandlung‘ dort zwar nichts erzählen durften, es aber vermutlich trotzdem im Familien- und Freundeskreis taten. Auch die sichtbaren Verletzungen, die viele der zumeist willkürlich Verhafteten davontrugen, sprachen für sich. Gerade auf die Angst vieler Menschen vor Verfolgung, Inhaftierung und Misshandlung zielte die Strategie der Nationalsozialisten ab, die ihre Gegner und deren Familien und Freunde einschüchtern wollten, um die eigene herrschende Position weiter zu festigen und Widerstand zu beseitigen.

Die Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Nord will die historischen Bedeutung der Folterstätte Zimmer 71 auf der nächsten Sitzung am 1. September 2022 erörtern. Hintergund ist die von uns angeregte Errichtung eines entsprechenden Erinnerungs- bzw. Lernortes.

Quelle Zeitungsartikel: Westfälische Rundschau vom 14. Juni 1947, in „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus: Katalog zur Dauerausstellung der Dokumentationsstätte Gelsenkirchen (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) – Materialien, Bd.12), 1. Auflage, August 2017, S. 248“

Die Namen folgender, im Rathaus Gelsenkirchen-Buer im Jahr 1933 von SA und SS-Angehörigen im Zimmer 71 gequälten und misshandelten politisch Andersdenkenden und Regimegegner sind bekannt:

1. Fall Willi Ruschinski
Der Zeuge Ruschinski wurde im Sommer 1933 von der Gestapo mit einem Brief zum Zimmer 71 geschickt. Dort wurde er über einen Tisch geworfen und, nachdem man ihm einen Mantel über den Kopf geworfen hatte, von 5 Personen, unter denen sich der Angeschuldigte befand, bis zur Besinnungslosigeit mit Gummiknüppeln geschlagen.

2. Fall Gustav Wiechert
Der Zeuge Wiechert wurde am 23.11.1933 von drei SA-Männern aus seiner Wohnung geholt und zum Zimmer 71, von dort zum Polizeigefängnis gebracht. Hier wurde er von mehreren Personen über einen Tisch geworfen und so mit Gummiknüppeln zugerichtet, das er 14 Tage nur auf dem Bauch liegen konnte. Der Angeschuldigte hat sich an der Misshandlung beteiligt.

3. Fall Paul Fischer
Der Zeuge Fischer wurde am 3.11.1933 zu einer Vernehmung auf Zimmer 71 bestellt. Da er die Beschuldigungen abstritt, wurde er von mehreren Personen aber einen Tisch geworfen und mit Gummiknüppeln besinnnungslos geschlagen. Als er nach einem Wasserguss wieder zu sich kam, begann die Misshandlung in derselben Weise von neuem. Dar Angeschuldigte war daran massgeblich beteiligt.

4. Fall Rudolf Puls
Der Zeuge Puls wurde am 3.11.1933 von zwei SA-Männern festgenommen und zum Zimer 71 gebracht. Hier befanden sich etwa sechs Personen, darunter der Angeschuldigte. Da der Zeuge gegen seine Festnahne protestierte, wurde er wie in den Fällen 1-3 besinnungslos geschlagen.

5. Fall Hermann Drechsel
Der Zeuge Drechsel wurde Mitte Oktober 1933 von drei SA-Männern festgenommen und zum Zimmer 71 gebracht, wo er Angaben über kommunistische Funktionäre machen sollte. Da er sich weigerte, wurde er in Abständen zwei Stunden lang in der geschilderten Weise mit Totschlägern und Gummiküppeln misshandelt. Der Hauptbeteiligte war der Angeschuldigte.

6. Fall Franz Lech
Anfang Oktober 1933 drang der Angeschuldigte mit drei SA-Männern in die Wohnung des Zeugen Lech ein und durchsuchten sie nach Waffen und Schriften. Einer der SA-Männer versetzte dem Zeugen mit einem Gummiküppel vier Schläge über Kopf und Schulter.

7. Fall Gustav Siebert
Anfang Oktober 1933 durchsuchte der Angeschuldigte mit drei SS-Männern die Wohnung des Zeugen Siebert nach Schusswaffen. Hierbei wurde dieser von allen vieren mit Gummiknüppeln besinngslos geschlagen.

8. Fall Wilhelm Kolozeizick
Der Zeuge Kolozeizick wurde Ende Oktober 1933 aus seiner Wohnung geholt und zum Zimmer 71 gebracht. Da er keine Aussage machte, wurde er mit Gummiknüppeln bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen An der Misshandlung hat sich der Angeschuldigte beteiligt.

9. Fall Johann Balzer
Nach dem Reichtagsbrand 1933 wurde der Zeuge Balzer von der Gestapo in Buer vernommen. Da er Fragen nicht beantwortete, wurde er von dem Angeschuldigten und zwei SA-Männern mit Gummiknüppeln niedergeschlagen.

10. Fall Eduard Schuler
Der Zeuge wurde Anfang Oktober 1933 aus seiner Wohnung geholt und zur Vernehmung zum Zimmer 71 gebracht. Als er keine Aussage machte, wurde er mit Gummiknüppeln geschlagen. Während der Misshandlung kam der Angeschuldigte ins Zimmer und beteiligte sich daran.

11. Fall Otto Hellwig Der Zeuge Hellwig wurde im März oder April 1934 von dem Angeschuldigten und mehreren SA-Männern aus dem Bett geholt und zur Vernehmung zum Hotel Würzburger Hofbräu* gebracht. Hier wurde er über einen Bock gelegt und mit Gummiknüppeln misshandelt. Der Angeschuldigte hat sich hierbei besonders hervorgetan.

Die vorstehende Auflistung der Fälle ist zu finden in: LAV NRW, Abt. Rheinland, Rep. 0105 Nr. 262 ./. Kaufmann Hugo König aus Gelsenkirchen-Buer wegen Misshandlung von Kommunisten, Aktenzeichen: 29 KLs 5/47
* Im Fall von Otto Hellwig weicht der Tatort ab, Hellwig wurde nach eigenen Angaben von der SA im Hotel Monopol, Springestraße in Gelsenkirchen-Buer (Würzburger Hofbräu) gefoltert.)
Vgl. auch: Website der Stolpersteine Gelsenkirchen, ‚Die Dabeigewesenenen‘: Hugo König
Abb.: Der gebürtige Gelsenkirchener Maler Karl Schwesig (*19. Juni 1898 in Braubauerschaft, heute Gelsenkirchen-Bismarck; † 11. Juni 1955 in Düsseldorf) war 1933 Terror und Folter durch die Düsseldorfer SA ausgesetzt. 1935/36 beendet er die Arbeit an einem Graphikzyklus, mit dem er festhält, was ihm und seinen Mitgefangenen im SA-Folterkeller an der Düsseldorfer Bismarckstraße („Schlegelkeller“) widerfahren ist. Nach Karl Schwesig ist eine Straße in Gelsenkirchen-Buer benannt. Bildzitat aus: Karl Schwesig, Schlegelkeller, Ausst.-Kat. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf 1983, S. 32 / © Nachlass Karl Schwesig
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80. Jahrestag der Deportation von Gelsenkirchen nach KZ Theresienstadt

Die Deportationsliste nennt 44 Namen von überwiegend alten bzw. kriegsversehrten jüdischen Menschen mit Lebensmittelpunkt in Gelsenkirchen, die am 31. Juli 1942 von Gelsenkirchen über Münster in das KZ Theresienstadt deportiert wurden. Von den aus Gelsenkirchen mit diesem Transport deportierten Menschen erlebten nur vier Personen ihre Befreiung.

Ein Deportationszug der Reichsbahn fuhr am 31. Juli 1942 ab Gelsenkirchen, Ziel: das KZ Theresienstadt. An den Haltepunkten in verschiedenen Städten wurden auf dem Weg weitere Menschen in den Zug gezwungen. Insgesamt befanden sich schließlich 901 Menschen jüdischer Herkunft in dem Transportzug XI/1, der am 1. August 1942 das KZ Theresienstadt erreichte. Von diesen 901 Menschen sind 835 umgekommen, viele starben bereits im KZ Theresienstadt in Folge der unmenschlichen Haftbedingungen. Die verbliebenen wurden mit Folgetransporten in die Vernichtungslager Treblinka, Auschwitz und Malý Trostinec verschleppt und dort ermordet. Mehr erfahren: http://www.gelsenzentrum.de/gelsenkirchen_theresienstadt_deportation.htm

An der Gewerkenstraße 68 in Gelsenkirchen erinnern Stolpersteine an das Ehepaar August und Rosa Kahn
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NS-Zeit: Folterstätte im Rathaus Buer 

Nach der Machtübertragung an Adolf Hitler und der Machtergreifung der Nazis entstanden in Deutschland frühe Folterstätten und Konzentrationslager. Eine solche Folterstätte wurde 1933 im Rathaus Gelsenkirchen-Buer eingerichtet.

Es war das berüchtigte Zimmer 71, von SS und SA zur Folterung und Erpressung von Geständnissen politischer Gegner genutzt. Ein kahles Zimmer mit einem Tisch, darauf eine Schreibmaschine, vor dem Tisch ein Prügelbock, und an der Wand hängend Gummischläuche aller Größen waren der Schauplatz unzähliger Quälereien. Ein nach dem Krieg angeklagter Täter sagte im gegen ihn geführten Prozess aus: „Die Prügelei ging am laufenden Band“ und „es wurde ziemlich fest geschlagen“.

Die Anklage legte ihm zur Last, im Jahre 1933 in mindestens 11 Fällen politische Gegner unmenschlich misshandelt und geschlagen zu haben. 11 Zeugen, die noch 1947 an den Folgen dieser Mißhandlungen litten, belasteten den Angeklagten erheblich. Der ehemalige SS-Mann wurde schließlich wegen schwerer Körperverletzung in 6 Fällen; §§ 223 und 223a StGB, in Verbindung mit Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrates in Deutschland (Verbrechen gegen den Frieden oder die Menschlichkeit) zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.


Das Rathaus in Gelsenkirchen-Buer, um 1944. Im Gebäude befand sich ab 1933 eine NS-Folterstätte.

Folterstätte der Nazis nicht erinnerungswürdig?

Der Turm des Buerer Rathauses wird seit mehr als 15 Jahren alljährlich am 30. November anlässlich des Aktionstages „Cities for Life” nach Einbruch der Dämmerung in grünes Licht getaucht, ein weithin sichtbares Zeichen für den Respekt des Lebens und der Menschenwürde – gegen Todesstrafe und Folter. Die am Rathaus im Rahmen des Projektes „Erinnerungsorte“ angebrachte Tafel hingegen thematisiert die Existenz der Folterstätte nicht, lediglich ein Satz streift die 12 Jahre währende Zeit des NS-Terrorregimes: „1933 zerstörten hier die Nationalsozialisten die kommunale Stadtverwaltung.“ Es ist höchste Zeit, an diesen Gelsenkirchener Tatort von Naziverbrechen beispielsweise mit einer passend gestalteten Infotafel zu erinnern.

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Sozialwerk St. Georg: Gebäude in Gelsenkirchen nach Jürgen Sommerfeld benannt

Das Namensschild am ‚Neubau‘ wurde am Mittwoch feierlich enthüllt. Adrian van Eyk (Geschäftsführung Sozialwerk St. Georg) und Familie Sommerfeld.

Das Sozialwerk St. Georg an der Gelsenkirchener Emscherstr. hatte zur offiziellen, feierlichen Namensgebung eingeladen. Der bisher namenlose Werkstatt-Neubau trägt jetzt einen Namen: Manufaktur Jürgen Sommerfeld. Im Rahmen einer offiziellen Feier wurde am Mittwoch die Namenstafel am Werkstattgebäude enthüllt.

Jürgen Sommerfeld war ein Kind mit Behinderung aus Gelsenkirchen, das zur Zeit des Nationalsozialismus der Euthanasie zum Opfer gefallen ist. Jürgen Sommerfeld durfte nicht leben, ohne jeden moralischen Skrupel wurde der kleine Junge im Rahmen der so genannten „Kindereuthanasie“ vom NS-Gewaltregime ‚gestorben‘. Er war gerade zweieinhalb Jahre alt, als er als Kind mit Behinderung am 20. Juli 1943 in die so genannte „Kinderfachabteilung“ der Provinzialheilanstalt Aplerbeck in Dortmund aufgenommen wurde. Am 9. August 1943 ist das Kind tot, gestorben angeblich an „Kreislaufschwäche“, so steht es auf dem Totenschein.

Seit dem 11. Juni erinnert in Gelsenkirchen bereits ein Stolperstein an Jürgen Sommerfeld. Der als gemeinnützig anerkannte Gelsenkirchener Geschichtsverein Gelsenzentrum e.V .hatte sich im Vorfeld in Absprache mit Angehörigen der Familie Sommerfeld auf den Verlegort Emscherstr. 41 vor dem Sozialwerk St. Georg verständigt, da Jürgen Sommerfeld neben einem Stolperstein dort weitere ehrende Erinnerung erfahren sollte.

Schon seit 2016 plante das Sozialwerk St. Georg, den Neubau, in dem Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung arbeiten, stellvertretend nach einem Menschen zu benennen, der während des Nationalsozialismus der so genannten ‚Euthanasie‘ zum Opfer gefallen ist. So konnten wir im Frühjahr diesen Jahres dem Sozialwerk Jürgen Sommerfeld als Namensgeber vorschlagen und den Kontakt zu Angehörigen herstellen. Familie Sommerfeld war einverstanden, so stand der Namensgebung nichts im Weg. Der Gebäudename ‚Manufaktur Jürgen Sommerfeld‘ in Gelsenkirchen erinnert stellvertretend an alle Menschen mit Behinderungen, die während des Nationalsozialismus den staatlich angeordneten Patientenmorden („Euthanasie“) zum Opfer gefallen sind.

Heilerziehungspfleger Jan-Oliver Kolpatzik , Marcel Jähner und Christa Sommerfeld enthüllten am Mittwoch (29.6.) die Namenstafel am Werkstattgebäude. Marcel Jähner ist ein Mensch mit hohem Assistenzbedarf – er arbeitet in dem Werkstattgebäude, das in Gelsenkirchen nun an Jürgen Sommerfeld erinnert.

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Gelsenkirchen: Andreas Jordan – Botschafter Stolpersteine NRW

Etwa 15.000 Stolpersteine gibt es in NRW. Einer davon liegt in Gelsenkirchen und erinnert an das 1933 geborene Sinti-Mädchen Rosa Böhmer. Rosa ist 1942 von den Nazis ermordet worden. Die WDR-App „Stolpersteine NRW“ hilft, die Erinnerung an sie und ihre Familie aufrecht zu erhalten. Unterstützt wird die Botschafter*innen-Kampagne des WDR auch von Andreas Jordan, langjähriger Projektleiter der Stolperstein-Initiative in Gelsenkirchen.

Die neue, innovative App „Stolpersteine NRW – Gegen das Vergessen“ des WDR macht auch die derzeit mehr als 280 Schicksale hinter den Gelsenkirchener Stolpersteinen digital erlebbar. Die App ist für die beiden Plattformen iOS und Android kostenlos verfügbar und kann dann auf dem üblichen Weg über die so genannten “Stores” heruntergeladen werden. Eine Version für den Desktop-Browser ist ebenfalls nutzbar. Mehr über Rosa Böhmer und ihre Familie erfahren.

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Erinnerungskultur: Neue Stolpersteine werden verlegt

Bildhauer Gunter Demnig kommt am Samstag, 11. Juni 2022 nach Gelsenkirchen, um hier gemeinsam mit der Projektgruppe Stolpersteine des Gelsenzentrum e.V. ab 14.30 Uhr an mehreren Orten im Stadtgebiet weitere Stolpersteine zu verlegen. Damit werden Lebens- und Leidenswege von Menschen greifbar, die zwischen 1933-1945 aus rassistischen Motiven ermordet, ausgegrenzt oder vertrieben wurden. Demnigs Stolpersteine machen uns bewusst, wohin jede menschenverachtende rassistische Ideologie und Ausgrenzung führen kann.

Bei dem Projekt „Stolpersteine“ handelt es sich um ein Kunstprojekt für Europa von Bildhauer Gunter Demnig, das die Erinnerung an Opfer der Nationalsozialisten lebendig erhält. Dazu gehören Menschen, die in der NS-Zeit stigmatisiert,verfolgt, deportiert, ermordet oder in die Flucht bzw.den Suizid getrieben wurden. Stolpersteine sind 10 x 10 x 10 cm große Betonquader, in deren Oberläche eine Messingplatte verankert ist. Auf diese Oberfläche werden mit Schlagbuchstaben die Namen und Daten von Menschen eingeprägt, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und zumeist ermordet wurden.

Das Besondere an diesem Projekt ist, dass diese kleinen Erinnerungsmale genau an den Orten verlegt werden, an denen die Menschen vor ihrer Flucht oder Verhaftung freiwillig lebten. Damit wird individuell an Verfolgte erinnert, doch es werden gleichwohl auch Fragen nach der Täter- und Mittäterschaft aufgeworfen, indem der Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Verfolgung an den ehemaligen Wohnorten deutlich markiert wird. Wer künftige Stolperstein-Verlegungen finanziell unterstützen möchte, kann an das Konto „Stolpersteine Gelsenkirchen“ bei der Sparkasse Gelsenkirchen mit der IBAN DE79 4205 0001 0132 0159 27 spenden. Der Verwendungszweck ist „Spende Stolpersteine“.

Geplante Verlegereihenfolge Samstag, 11. Juni:

14.30 Uhr, Norman C. Cowley, Mühlenstr. 5-9
15.15 Uhr, Jürgen Sommerfeld, Emscherstr. 41
16.00 Uhr, Lore Grüneberg, Hauptstr. 16
16.30 Uhr, Ehepaar Schlossstein, Gildenstr. 7
17.00 Uhr, Dr. Alfred Alsberg, Bahnhofstr. 55-65
17.30 Uhr, Ida Reifenberg, Von-Der-Recke-Str. 11
17.45 Uhr, Familie Leibisch Grün, Husemannstr. 39

Gemeinschaftsverlegung Dienstag, 14. Juni:

10.00 Uhr, Vera Polyakova, Dessauerstr. 72
10.40 Uhr, Ehepaar Meyer, Florastr. 166

(Wir bitten Teilnehmende, ein Zeitfenster von +/- 20 Minuten zu den genannten Uhrzeiten einzuplanen. Es gelten bei den kleinen Verlegezeremonien die jeweils aktuellen Corona-Richtlinien.)

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NS-Verbrechen: Gebot der Gerechtigkeit erforderte Verurteilung  

Seit 2011 erinnern in Gelsenkirchen zwei Stolpersteine an den Widerständler Erich Lange – der eine am letzten selbstgewählten Wohnort in der Schwanenstraße, ein weiterer am Rundhöfchen, dem Ort seines gewaltsamen Todes in der Gelsenkirchener Altstadt.

Erich Lange war zunächst Mitglied der so genannten Schutzstaffel der NSDAP. Er stellte sich jedoch noch vor der Machtübergabe gegen die Nationalsozialisten, wurde Mitglied der KPD und des „Kampfbundes gegen den Faschismus“. In den Augen der Nazis war Erich Lange somit ein „Verräter an der nationalen Sache“.

Am 23. März 1933 titelte die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung „Kommunistischer Funktio- när erschossen“ – das Opfer war Erich Lange. Der Schütze, ein SS-Mann, will in Notwehr geschossen haben. Mehr war bisher über das Verbrechen bisher nicht bekannt, beim Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen (ISG) fanden sich keine Archivalien zur Person oder dem Schicksal von Erich Lange.

Jüngst stieß Historiker Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) bei Recherchen zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in NRW zwischen 1946-1949 jedoch auf eine Archivsignatur, die auf ein Strafverfahren vor dem Schwurgericht Essen gegen zwei SS-Angehörige hinwies, die einen ehemaligen Kameraden auf offener Straße in Gelsenkirchen erschossen hatten. Schnell stand fest, das es sich bei den Angeklagten um die Personen handelt, die 1933 Erich Lange getötet hatten. Die nun erfolgte Auswertung der Akte aus dem Bundesarchiv bringt mehr Licht in eines der Verbechen in der frühen Phase der NS-Gewaltherrschaft in Gelsenkirchen.

Während ihrer Zugehörigkeit zur SS hatten die beiden Angeklagten Erich Schneider und Wilhelm Dudek im Sommer 1932 Erich Lange kennengelernt. Lange war ebenfalls Mitglied der SS und gehörte wie die Angeklagten dem selben SS-Sturm an. Lange trat jedoch im November 1932 wieder aus der SS aus und wurde Mitglied der KPD. Das war den Angeklagten bekannt.

In der Nacht vom 21. auf den 22. März 1933 suchten die Angeklagten in SS-Uniform gemeinsam mit anderen SS-Männern die Wirtschaft „Stadtkeller“ in der Gelsenkirchener Altstadt auf. Beide trugen eine Pistole. Kurze Zeit später betrat auch Erich Lange das Lokal. Es dauerte nicht lange, da kam es zu einem Wortwechsel zwischen den Angeklagten und Erich Lange, der in eine Schlägerei mündete. Die Angeklagten Schneider und Dudek schlugen mit ihren Koppeln auf Erich Lange ein, bis dieser aus dem Lokal floh. Der Angeklagte Dudek verfolgte ihm mit zwei weiteren uniformierten Männern. Sie holten Erich Lange in Höhe des Hotels „Monopol“ in der Nähe der „Hubertusbar“ ein und schlugen erneut massiv auf ihn ein, sodass er laut um Hilfe schrie. Als Lange dann loslief, um den Schlägen zu entgehen, gab Dudek aus einer Entfernung von etwa 2-3 Metern drei Schüsse aus der Dienstpistole auf ihn ab. Von Kugeln getroffen fiel Erich Lange zu Boden. Das geschah gegen 5.10 Uhr. Die Verfolger suchten das Weite, ohne sich weiter um Lange zu kümmern.

Als sich kurz nach dem Vorfall der Zeuge Funke dem Tatort näherte, traf er mit mehreren SA-Männern zusammen. Diesen teilte er seine soeben gemachte Beobachtung mit, Lange sei von einem SS oder SA-Mann erschossen worden. Diese entgegneten, das seien keine Uniformierten gewesen. Funke musste mit zur Polizeiwache, dort wurde er von Kriminalkommisar Tenholt vernommen. Funke konnte gegen 8 Uhr gehen, er ist in dieser Angelenheit nicht wieder verhört worden.

Nach dem letzten Schuss erschien der sich auf dem Weg zur Arbeit befindliche Zeuge Pruschinski am Tatort und konnte nur noch – wie zuvor Funke – den Tod des Erich Lange feststellen. Ein auftauchender SS-Mann mit gezogener Pistole forderte den Zeugen mit den Worten „Was ist den hier los, mach das du wegkommst, lass das Schwein liegen“ auf, zu verschwinden.

Am nächsten Morgen mussten die beiden Angeklagten zur Sturmbann-Dienststelle kommen. Dudek schilderte den Sachverhalt. Daraufhin ordnete der Leiter der Dienststelle Schulz mit den Worten „Wir müssen die Sache drehen“ an, das der Angeklagte Schneider als Hilfsbeamter der Polizei Lange erschossen habe, weil dieser sich seiner Festnahme durch Flucht habe entziehen wollen. Schneider sollte die Tat auf sich nehmen, hatte dann jedoch zunächst Bedenken, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben, da er sich einer Tötung bezichtigte. Doch ihm wurde sofort versichert, das es bei dieser einen Vernehmung bleiben werde und er nichts zu befürchten habe.

Vater des Opfers brachte Nachkriegsprozess ins Rollen

Tatsächlich sind dann keine weiteren Ermittlungen getätigt worden, der nun Mitangeklagte Dudek ist seinerzeit nicht verhört worden. Nach dem Krieg wurde auf die Anzeige des Vaters von Erich Lange am 19. Juni 1948 ein Verfahren gegen die mutmaßlichen Täter Dudek und Schneider eingeleitet.

In der Verhandlung stellte das Schwurgericht fest, das sich der Angeklagte Schneider der gefährlichen Körperverletzung, der Angeklagte Dudek der vorsätzlichen Tötung sowie der ge- fährlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits ver- jährt, war zu prüfen, ob auf Grund der Verordnung zur Beseitigung nationalsozialisticher Ein- griffe in die Strafrechtspflege vom 23. Mai 1947 noch eine Betrafung möglich war. Diese Frage hat das Schwurgericht Essen in der Verhandlung vom 21. September 1949 bejaht, denn dass das Verbrechen der Tötung auch nach 16 Jahren eine Sühne verlangt, erfordere das Gebot der Gerechtigkeit. Schneider wurde erstinstanzlich zu zwei Monaten Gefängnis, Dudek zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Gegen das Urteil legte Schneiders Rechtsanwalt wie auch die Staatsanwaltschaft Revision ein. Im Januar 1950 ergeht ein Beschluss des I. Strafsenats des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone, das Verfahren – soweit es Erich Schneider betrifft – einzustellen. Der Revision Dudeks wird stattgegeben und das Verfahren an das Schwurgericht Essen zurückverwiesen. Im April 1950 wird Wilhelm Dudek erneut vom Schwurgericht des Landgerichts Essen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Totschlag und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren verurteilt.

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„Ich habe Angst, Auschwitz könnte nur schlafen“

Völkermord an Sinti und Roma: 79. Jahrestag des „Auschwitz-Erlasses“

Vor 79 Jahren, am 16. Dezember 1942, ordnete Heinrich Himmler (Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei) die Deportation aller Sinti und Roma aus dem „Deutschen Reich“ in das Konzen-trationslager Auschwitz an. Mit diesem sogenannten „Auschwitz-Erlass“ begann die Deportation von 23.000 Sinti und Roma aus elf Ländern Europas in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Zum Gedenken an den Erlass hat der Künstler Gunter Demnig in Kooperation mit dem Verein Rom e. V. am 16. Dezember 1992, dem 50. Jahrestag des Erlasses, einen Stolperstein vor dem historischen Kölner Rathaus in das Pflaster eingelassen. Auf dem Stein zu lesen sind die ersten Zeilen des den Erlass zitierenden Schnellbriefs.
Zum Gedenken an den Erlass hat der Künstler Gunter Demnig in Kooperation mit dem Verein Rom e. V. am 16. Dezember 1992, dem 50. Jahrestag des Erlasses, einen Stolperstein vor dem historischen Kölner Rathaus in das Pflaster eingelassen. Auf dem Stein zu lesen sind die ersten Zeilen des den Erlass zitierenden Schnellbriefs.
Foto:© Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0 DE

Der Völkermord an Sinti, Roma und anderen Fahrenden begann jedoch nicht erst mit den Depor-tationen nach Auschwitz. Bereits im Mai 1940 wurde eine große Zahl Sinti und Roma in das so genannte „Generalgouvernement“ deportiert. Unter diesen Menschen befanden sich auch zahl-reiche Familien, die zuvor lange in Gelsenkirchen gelebt hatten. Sie waren, um den Schikanen von Kriminalpolizei, städtischen Dienststellen und der SA in Gelsenkirchen zu entkommen, nach Köln gegangen und lebten dort in einem Lager in Köln-Bickendorf. Dieses Lager war bereits 1934 erbaut und im April 1935 fertiggestellt worden.

Zielsetzung des Terrorregimes war – wie auch in Gelsenkirchen bei Einrichtung der (Zwangs)-Lagerplätze bzw. Internierungslager an der Cranger Straße und dann der Reginenstraße – die konzentrierte, systematische Unterbringung und Überwachung dieser Bevölkerungsgruppe fernab des Stadtzentrums. Damit wollte das NS-Gewaltregime auch seine Stigmatisierung dieser Ethnie als „am äußersten Rand der Gesellschaft stehend“ hervorheben. Unter den Menschen, die aus dem Sammellager auf dem Gelände der Kölner Messe bereits im Mai 1940 nach Polen verschleppten worden sind, waren auch die Familien Rosina Lehmann, die Familie Rosenberg, das Paar Malla Müller und Josef Wernicke, die Familie Michael Wernicke und die Familie Johann Wernicke. Sie alle haben zuvor längere Zeit in Gelsenkirchen gelebt.

März 1943 – Deportation der Gelsenkirchener Sinti u. Lovara nach Auschwitz-Birkenau

Die Organisation und praktische Durchführung der Deportation der Gelsenkirchener „Zigeuner“ nach Auschwitz-Birkenau oblag der staatlichen Kriminalpolizei, und hier dann der Kriminalpolizeistelle Recklinghausen mit ihrer Kriminal-Inspektion III Gelsenkirchen. Zur Aus- und Durchführung wurden weitere Dienststellen der verschiedenen Verfolgungsbehörden hinzugezogen.

Deportation Gelsenkirchner Sinti und Roma nach Auschitz
Aufgrund des „Auschwitz-Erlasses“ wurden auch die noch in Gelsenkirchen lebenden deutschen Sinti und Lovara am 9. März 1943 auf dem Zwangs-Lagerplatz an der Reginenstraße im Zuge der anstehenden Deportation festgenommen und in das Polizeigefängnis Gelsenkirchen gebracht. In den Lagerbüchern von Auschwitz ist die Ankunft der aus Gelsenkirchen verschleppten Angehörigen der Minderheit am 13. März 1943 festgehalten. Sie wurden fast alle in Auschwitz-Birkenau ermordet, nur wenige der geschunden Menschen überlebten.

„Ich habe Angst, Auschwitz könnte nur schlafen“: Zitat von Ceija Stojka, Künstlerin und Schriftstellerin (1933 – 2013).

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Gelsenkirchen: 80 Jahre Riga-Deportation

2022 jährt sich die Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga in Lettland, damals ein Teil des „Reichskommissariats Ostland“, zum 80. Mal. Am 27. Januar 1942 rollte der erste „Sammeltransport“ mit jüdischen Kindern, Frauen und Männern von Gelsenkirchen Richtung Osten. Bestimmungsort der Menschenfracht war das Ghetto Riga. Etwa 420 jüdische Menschen – davon rund 340 aus Gelsenkirchen – wurden zunächst in die zum temporären „Sammellager“ umfunktionierten Ausstellungshalle am Wilden- bruchplatz unter unmensch-lichen Bedingungen eingepfercht. Auch Juden aus umlie- genden Revierstädten wie bspw. Recklinghausen wurden eigens für diese Deportation nach Gelsenkirchen transportiert.

Auf dem Weg nach Riga wurden weitere Menschen an verschiedenen Haltepunkten – u.a. in Dortmund und Hannover – in den Zug gezwungen. Der Deportationszug der Deutschen Reichsbahn erreichte schließlich mit etwa 1000 Menschen am 1. Februar 1942 Riga in Lettland. Der überwiegende Teil der aus Gelsenkirchen und anderen Städten am 27. Januar verschleppten Juden wurden in der Folgezeit im Ghetto Riga oder in Konzentrationslagern ermordet. Zu den wenigen, die oftmals als Einzige ihrer Familien den Holocaust überlebt haben, gehört auch der im damaligen Horst-Emscher geborene Herman Neudorf.

Der in Gelsenkirchen-Horst geborene Herman Neudorf lebt heute in den USA

Der 96jährige Herman Neudorf, heute in den USA lebend, erinnert sich:

„Am 20. Dezember 1941 erhielten wir von der Gestapo, Staatspolizeistelle Gelsenkirchen, die erste Aufforderung: „Sie haben sich auf einen Transport zum Arbeitseinsatz nach dem Osten vorzubereiten. An Gepäck darf 10 Reichsmark mitgenommen werden. Die Fahrtkosten sind selbst zu entrichten“ – natürlich einfache Fahrt, eine Rückfahrt war ja nicht vorgesehen. Vorbereitungen wurden von Seiten der zur Deportation bestimmten jüdischen Einwohnern Gelsenkirchens getroffen. Medikamente, Winterkleidung, warme Decken und so weiter beschafft. Am 20. Januar 1942 kommt wieder ein Schreiben: „Sie haben sich zum Transport nach dem Osten in den nächsten drei Tagen bereitzuhalten.“ Nun war es also soweit.

An einem Januarmorgen um 10 Uhr morgens wurden wir dann von der Gestapo aus dem sogenannten „Judenhaus“ an der Markenstraße in Horst abgeholt und in einen Autobus verfrachtet, mit je einem Koffer. In Handumdrehen sammelte sich um den Bus eine Anzahl Schulkinder. Auf ihre neugierige Frage, wohin wir fahren, antwortete der Gestapo-Chauffeur: „Zur Erholung in ein Sanatorium.“ Am Wildenbruchplatz schliefen wir eine Nacht wie Tiere in Stroh am Boden. Frühmorgens am folgenden Tag wurden wir verladen. Es war der 27. Januar 1942. Aber diese Mörder wussten zu gut, wohin unsere Fahrt führen sollte. Hoher Schnee mit ca. 25 Grad Kälte. Ein Personenzug stand am Güterbahnhof Gelsenkirchen für uns bereit. Ungeheizt. Am Ende des Zuges wurden drei Wagen mit unseren Koffern, Verpflegung und Küchengeräten angehängt. Dann fuhren wir ab. Türen natürlich abgeschlossen. Vor Hannover erfuhren wir, daß die letzten Wagen angeblich „heißgelaufen“ waren und abgehängt werden mussten. Nun besaßen wir nur noch das, was wir am Leibe trugen. es war eine lange Fahrt durch Ostpreußen, Litauen, Lettland. Aborte verstopft, die Abteilwände mit einer Eisschicht überzogen.

Am 1. Februar erreichten wir unsere neue „Heimat“, der Transport hielt am Bahnhof Skirotava im südlichen Teil der Stadt Riga. Auf uns warteten schon SS-Leute in dicken Pelzmänteln. Sie trieben uns mit Schlägen, Beschimpfungen und Gebrüll aus dem Zug. Die Glieder waren noch starr vor Kälte. Zum Teil mit LKW oder zu Fuß ging es ab. Ungefähr drei Stunden Marsch. Lettische Wachen hüteten uns sorgfältig und rissen einigen gute Kleidungsstücke vom Leibe herunter. Ein mit Stacheldraht umgebener Stadtteil tauchte auf. Personen mit gelben „Judensternen“ konnte ich erkennen. Das war also das Rigaer Ghetto, das uns allen ewig in Erinnerung bleiben sollte. Oft wundert man sich selbst, dass man diese schrecklichen Jahre, die noch folgen sollten, überhaupt überleben konnte.“ Hermann Neudorf erlebte seine Befreiung im April 1945 auf einem Todesmarsch aus dem KZ Buchenwald in Richtung KZ Dachau. Lebensgeschichtlichen Erinnerungen von Herman Neudorf: Das war Riga…

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